Polen oder Slowakei? In der Hohen Tatra geht beides
WELT N24, Von Jörn Lauterbach | Veröffentlicht am 16.01.2017
Gipfelglück: Der Hauptkamm der Hohen Tatra ist zwar nur 27 Kilometer lang, dennoch überragen 25 Gipfel die 2500-Meter-Grenze
Quelle: picture-alliance/ dpa
Was bietet der mächtige Gebirgszug, der Polen und die Slowakei trennt, verwöhnten Wintersportlern? Unser Autor hat die Skipisten auf beiden Seiten der Hohen Tatra zum Vergleich getestet.
Marek Wnukowicz ist verwundert. "Was ist denn das für eine Sprache?" Als Hotelmanager im Skiort Bialka Tatrzanska in der Hohen Tatra kennt er sich eigentlich bestens aus im polnischen Fremdenverkehr, aber diese Buchstabenreihung, die er auf der Speisekarte eines Restaurants neben seinem Hotel entdeckt, hat er in seinem Heimatland noch nie gesehen. "Das muss Slowakisch sein", sagt er schliesslich.
Eigentlich sollten slowakische Skifahrer in Polen keine so grosse Überraschung sein, schliesslich grenzen beide Länder aneinander. Dennoch haben es in der Vergangenheit viele Slowaken vorgezogen, auf ihrer Seite des Gebirges zu bleiben und die eigenen, gut ausgebauten Wintersportgebiete zu nutzen.
Nun allerdings kommt buchstäblich Bewegung in die Grenzregion. Denn Polen hat massiv in moderne Beschneiungs- und Liftanlagen sowie in neue Hotels investiert. Zudem ist der polnische Zloty derzeit eher niedrig bewertet, womit die Hohe Tatra auch für jene Wintersportler interessant ist, die aus Kostengründen einen Urlaub in Österreich und in der Schweiz scheuen.
Neben Skipisten gibt es auch viele heisse Quellen
Auf polnischer Seite ist Zakopane der mit Abstand grösste Wintersportort, der durch internationale Skisprung-Wettbewerbe auch über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist. Adam Malysz wurde hier durch seine Siege auf der Grossschanze zum Volkshelden. Selbst Karol Wojtyla war in seiner Zeit als Bischof und Kardinal mit seinen roten Skiern oft unterwegs; als Papst Johannes Paul II. war das dann nicht mehr möglich.
Von diesem Ruf will die Region Südpolen profitieren und setzt grosse Hoffnungen auf neue Besuchergruppen. Die Engländer etwa hätten die Hohe Tatra längst als Ziel entdeckt, sagt Ewa Kurek vom örtlichen Tourismusbüro.
Doch auch die Bundesbürger hat sie im Visier. Verständlich, mehrere Airlines bieten günstige Flüge ab Deutschland nach Krakau, von wo aus man mit dem Mietwagen oder dem Zubringerbus in knapp zwei Stunden Zakopane und die angrenzenden Skiorte Bialka Tatrazanska und Bukowina ansteuern kann.
Hier angekommen, erwartet die Gäste gleich eine Überraschung. Denn neben diversen Pisten gibt es auch viele heisse Quellen, um die sich ganze Hotellandschaften gruppieren.
Mit 68 Grad Celsius fliesst das mineralische Wasser aus den Bergmassiven, wird dann auf angenehme Badewannentemperatur heruntergekühlt und in Thermalbecken geleitet. Nach einem langen Wintersporttag im warmen Wasser entspannen – damit kann Zakopane bei den Gästen punkten.
Polen zieht es in der Hohen Tatra abends in die Sauna
Doch es gibt auch ein Malus. So lässt die Hohe Tatra kaum hochalpine Gefühle aufkommen. Zwar überragen 25 Gipfel des Gebirges die 2500-Meter-Grenze, dennoch ist die Zahl der Pisten in dieser Höhenlage begrenzt.
Auf polnischer Seite bietet allein der Hausberg Zakopanes, der Kasprowy Wierch zwei Pisten, die an der Gipfelstation auf 1987 Metern starten. Und diese Strecken sind nur geöffnet, wenn genügend Naturschnee gefallen ist, denn innerhalb des Nationalparkes sind Kunstschneeanlagen verboten.
Das ist auch der Grund, weshalb auf polnischer Seite das 30 Autominuten von Zakopane entfernte Bialka Tatrzanska einen Boom erlebt. Nicht nur, dass es hier Beschneiungsanlagen gibt, der Ort selbst versprüht sogar einen gewissen alpenländischen Charme – und das zu Preisen, die nicht nur die Slowaken begeistern dürften. Ein Tagesskipass für 14 Lifte kostet pro Tag umgerechnet gerade mal 22 Euro, hinzu kommt die Leihausrüstung für insgesamt rund 20 Euro, während das Mittagessen inklusive Getränk nur mit rund fünf Euro zu Buche schlägt.
Für eine Hotelübernachtung muss man allerdings deutlich tiefer in die Tasche greifen. Dafür spart man dann wieder beim Après-Ski, sofern es überhaupt entsprechende Angebote gibt. Denn die Polen bevorzugen abendliche Saunagänge, und das mit Bier.
Alte Grandhotels im grössten Skigebiet der Slowakei
Eine Sitte, die übrigens auch im Nachbarland gepflegt wird, wie man schnell feststellen wird, wenn man von der polnischen auf die slowakische Seite wechselt. Das ist leicht möglich – von Zakopane aus kommt man auf einer wenig befahrenen Strasse, die durch eine wildromantische und dünn besiedelte Region führt, in gut einer Stunde ins grösste Skigebiet der Slowakei, nach Tatranská Lomnica.
Und dann: welche Überraschung! Alte Grandhotels aus Belle-Époque-Zeiten, wie das "Grandhotel Praha", stehen hübsch verteilt um die Weiher des Ortes, der sich damit viel edler präsentiert als die dichter und moderner bebauten Städte auf polnischer Seite.
Tatranská Lomnica ist ein Luftkurort, der seine erste Blütezeit vor dem Ersten Weltkrieg und somit vor der Gründung der Tschechoslowakei 1918 hatte. Das Städtchen wirkt ein wenig wie aus der Zeit gefallen; wenn abends das Licht der Kronleuchter durch die bodentiefen Hotelfenster bis auf die schneebedeckten Bäume fällt, glaubt man, Teil einer Kulisse zu sein, wie sie Thomas Mann im "Zauberberg" beschrieben hat. Dabei wirkt der Ort keineswegs verstaubt, im Gegenteil, die grossen Hotels bewegen sich ausnahmslos auf internationalem Niveau.
In diesem Skigebiet geht es bunt und laut zu
Und auch sonst hat sich die Slowakei schneller und umfassender als der polnische Nachbar westeuropäischen Standards angepasst. Entsprechend bunt und laut geht es im Skigebiet zu; so stehen Fahrzeuge mit Vierradantrieb als Werbeträger auf Podesten in den Auslaufzonen der Pisten; die grossen Skiausrüster sind mit Testcentern und allerlei Werbe-Schnickschnack vertreten.
Und wenn sich die Wintersportler in modernen Sesseln und Gondeln bis hoch auf den Gipfel des Lomnické in 2196 Meter Höhe bringen lassen, begleitet Musik aus den internationalen Charts ihre Fahrt.
Bis runter in den Ort Tatranska Lomnica, der auf 888 Meter liegt, führt dann eine zunächst anspruchsvolle und im weiteren Verlauf sehr schöne durchgehende Piste – wer all dies als geübter Fahrer bewältigt und hin und wieder auch die nicht präparierten Ausläufer testet, wird sich anders als zuvor in Polen richtig ausfahren können.
Dieses sportliche Vergnügen hat aber seinen Preis. Die Ausgaben für Unterbringung, Ausrüstung und Skipass müssen im Euroland Slowakei – das Land trat am 1. Januar 2009 der Währungsunion bei – freilich in Euro beglichen werden und liegen deshalb gut 50 Prozent über denen in Polen.
Das summiert sich selbst in der Slowakei am Ende zu einem Betrag, der kaum unter dem liegt, den deutsche Urlauber in österreichischen Wintersportorten berappen müssen. Und selbst immer mehr Slowaken werden ihrer Heimat "untreu" und machen anderswo Wintersport, etwa auf der polnischen Seite der Hohen Tatra. Das wiederum erklärt die zunehmende Zahl slowakischer Speisekarten in Zakopane.