RT DEUTSCH / 21. Juli 2017
Die Nutella-Krise hat die Regierungsebene erreicht: Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico wirft Lebensmittelkonzernen vor, in östlichen Ländern der EU weniger hochwertige Waren zu verkaufen. Am Mittwoch präsentierte er mehrere konkrete Beispiele.
Mit welcher Geschwindigkeit soll nun Europa voranschreiten? Mit einer, meinen die Premier-Minister von Tschechien Bohuslaw Sobotka (links) und Slowakei Robert Fico (rechts). Auf dem Bild: Beim Treffen mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin am 3. April mit Studenten.
Foto Reuters
Um seine These zu illustrieren, brachte Fico Kaffee von Jacobs, Fischstäbchen von Iglo und Waschmittel von Lenor mit. Die Produkte hatte er am selben Tag gekauft, aber einmal in der slowakischen Hauptstadt Bratislava und einmal im wenige Kilometer davon entfernten, österreichischen Hainburg an der Donau.
Seine Vergleichskriterien waren Preise, Gewicht und Inhaltsstoffe. Die Ergebnisse haben die Vorwürfe des Ministerpräsidenten bestätigt: So kosteten 900 Milliliter Lenor in Hainburg 1,99 Euro. Für 2,99 Euro bekommen Kunden in Bratislava sogar um 60 Milliliter weniger.
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Bei den Fischstäbchen aus dem slowakischen Laden finden sich nur 58 Prozent Fisch im Vergleich zu 68 Prozent in Österreich. Beim Kaffee ist die Situation nicht anders: Die Packung des gleichen Produkts in Bratislava enthielt 28 Gramm weniger als die österreichische.
*Dieses Thema entwickelt sich zu einem riesigen Skandal", bemerkte Fico.
Jedoch ist die Erkenntnis nicht neu. Bereits im Jahr 2015 wies die chemische Fakultät der Uni Prag danach, dass zum Beispiel Limonaden in den westlichen Ländern der EU mit Zucker versehen sind, während die im Osten mit künstlichen Süßstoffen gesüßt sind. Ungarische Lebensmittelbehörden haben im Februar dieses Jahres dazu auch eine Studie durchgeführt.
Palmöl statt Butter, dünnere Cola
Man untersuchte Geschmack, Zusammensetzung und Verpackung von Produkten großer Hersteller, die jeweils in Ungarn und Österreich im Angebot sind. Die in Ungarn verkaufte Nutella sei "weniger cremig", die Coca-Cola "weniger vollmundig" und die Packung von Knorr enthalte weniger Pulver, so steht es im Bericht.
Die berühmten Leibniz-Kekse sind keine Ausnahme: In Polen enthalten sie fünf Prozent Butter und Palmöl, die billige Alternative zu Butter. In den deutschen Läden finden die Kunden hingegen Kekse mit 12 Prozent Butter und gänzlich ohne Palmöl. Weniger Fleisch und mehr Fett in Würstchen, weniger Kakao und mehr Farbstoffe in der Schokolade – die Labortests bestätigen noch anhabd anderer Beispiele, dass in Osteuropa Produkte geringerer Art und Güte zum Verkauf stehen.
Die Regierungen der vier Visegrád-Staaten - Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn - fordern die EU-Kommission deshalb auf, aktiv zu werden. In der gesamten Union müssten die gleichen Qualitätsmaßstäbe für Verbraucher gelten, so lautet der Beschluss der Regierungschefs.
Es handelt sich schon nicht allein um Lebensmittel – die Rede ist auch vom Projekt des "Europas verschiedener Geschwindigkeiten". Das Modell sieht vor, dass wirtschaftlich stärkere Länder sich intensiver als die anderen integrieren würden, weil nicht alle Staaten immer denselben Integrationsstand besitzen.
*Wir müssen auch den Mut haben, dass einige Länder vorangehen, wenn nicht alle mitmachen wollen", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Minigipfel mit Frankreich, Italien und Spanien in Versailles. "Das Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten ist notwendig, ansonsten werden wir steckenbleiben."
Die Visegrád-Staaten haben dazu eine andere Meinung. Bei einem Treffen im März in Warschau haben sich die Regierungschefs für ein einheitliches Europa und gegen ein Europa der zwei Geschwindigkeiten ausgesprochen. Insofern kommt nur das grundlegende Prinzip der Einheit innerhalb in der EU in Frage.
*EU-Recht verlangt Kennzeichnung unterschiedlicher Rezepturen
Die Situation bezüglich der Lebensmittel ist nur der erste Missklang. Die EU-Kommission hat diesbezüglich bis jetzt aber keine konkreten Maßnahmen unternommen. Laut EU-Recht sind unterschiedliche Rezepturen für unterschiedliche Märkte erlaubt, allerdings nur mit einem entsprechenden Vermerk auf der Verpackung. Die aus Tschechien stammende EU-Kommissarin für Justiz und Verbraucherschutz, Vera Jourova, äußerte sich doch gegen eine Zweiklassenqualität:
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Ich werde mein Bestes tun, um das zu stoppen.
Doch scheinen die Visegrád-Staaten ihre Geduld zu verlieren. Die polnische Zeitung Gazeta Prawna spricht sogar schon von "Lebensmittelrassismus" und der slowakische Ministerpräsident droht mit dem Boykott von West-Produkten, falls die EU-Kommission nicht gegen die unterschiedlichen Qualitätsstandards vorgeht.