Neue Zürcher Zeitung, 26. Februar 2020 / Ivo Mijnssen, Bratislava und Michalovce
Kurz vor seinem gewaltsamen Tod erforschte der Journalist Jan Kuciak Betrügereien in der Landwirtschaft. Sie sind aber eher Symptom als Ursache der Probleme des darniederliegenden Bauernstands.

Ein Demonstrant protestiert in Bratislava gegen die Korruption.
Filip Singer / EPA
Seine Recherchen kosteten den slowakischen Journalisten Jan Kuciak das Leben. Er war dabei,
einen Artikel unter dem Titel «Die italienische Mafia in der Slowakei: Ihre Tentakel reichen bis in die Politik» fertig zu schreiben, als zwei Auftragskiller ihn und seine Verlobte im Februar 2018 erschossen. Diese stehen nun vor Gericht – in einem Land, das sich durch den Mord verändert hat. Wie stark, bleibt umstritten, zumal Kuciak jahrzehntelange Missstände ans Licht zerrte, für deren Behebung es keine einfachen Rezepte gibt.
Mafiöse Verwicklungen
In seinem letzten Text beschrieb der Journalist skandalöse Betrügereien in der Landwirtschaft: Laut Kuciak haben sich im spärlich besiedelten und unterentwickelten Osten des Landes mafiöse Gruppen aus dem Inland und aus Italien breitgemacht, unter ihnen auch die mächtige ’Ndrangheta. Antonino Vadalà, einer ihrer Vertreter, pflegte demnach über Jahre enge Beziehungen zur Führung der sozialdemokratischen Regierungspartei Smer. Die Enthüllungen führten zum Rücktritt von deren starkem Mann, Ministerpräsident Robert Fico, und von zahlreichen seiner Vertrauten.
Zusammen mit drei anderen Familienclans sollen die Vadalàs mehrere tausend Hektaren Land kontrolliert und dafür Subventionen in Millionenhöhe erhalten haben. Die Geschäfte in der Slowakei hätten unter anderem der Geldwäsche gedient. Im Oktober letzten Jahres verurteilte ein italienisches Gericht Vadalà wegen Kokainschmuggels, unter anderem durch die Slowakei, zu neun Jahren Haft.
Wie beschädigt ist ein System, das der Mafia erlaubt, über Jahre völlig ungestört ihren Geschäften nachzugehen? Die Frage ist insofern von Bedeutung, als eine aufwendige Recherche der «New York Times» nahelegt, dass die Landwirtschaftspolitik nicht nur in der Slowakei, sondern auch in Tschechien und Ungarn primär einem regierungsnahen Klüngel von Geschäftsleuten in die Hände spielt – alimentiert durch Milliardensubventionen aus Brüssel: Die Beiträge an die Landwirtschaft machen 40 Prozent des EU-Budgets aus, doch die Kontrolle darüber ist beschränkt, da die Gelder über die nationalen Landwirtschaftsministerien ausbezahlt werden.
«Wir haben genug!»
Patrik Magdosko gehört zu den lautesten Kritikern der slowakischen Landwirtschaftspolitik. Zum Gespräch in einem Einkaufszentrum in Michalovce erschien der Bauernführer im letzten Jahr mit einer traditionellen Schäferflöte aus Holz. Wie ein Handy-Video des feuchtfröhlichen Vorabends zeigte, weiss er diese auch zu spielen. Ein Jahr zuvor hatte er Hunderte von Kleinbauern nach Bratislava geführt, wo sie die Innenstadt blockierten, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Mit einer Kleinpartei namens «Wir haben genug!» tritt der 42-Jährige auch bei den Parlamentswahlen am Samstag an – ohne reelle Chancen.
Magdosko, der selbst etwas an einen Cowboy erinnert, sieht den Osten des Landes als gesetzlose Zone. «Es ist in den Feldern zu Schlägereien gekommen. Fehlt nur noch, dass wir unsere Waffen holen», sagt er empört. Zahlreiche Kleinbauern in der Region erzählen von Versuchen, sie von ihrem Land zu vertreiben. Die von Magdosko erwähnte körperliche Gewalt blieb dabei allerdings die Ausnahme. Meist erfolgte der Druck auf juristischem Wege, wobei laut den Kleinbauern auch Richter gekauft wurden.

Patrik Magdosko, Bauer und Kandidat der Partei
NZZ
Ihre Karten sind dabei aus verschiedenen Gründen schlecht. Einer ist historisch bedingt: Nach dem Kollaps des sozialistischen Regimes 1989 erhielten die einstigen Besitzer zwar ihr Land zurück. Doch nach mehr als vier Jahrzehnten bestand erhebliche Unklarheit über die Eigentumsrechte und die genauen Verläufe der Grundstücke. Zudem waren viele der ehemaligen Bauern in die Städte abgewandert, ihr Interesse an einer Rückkehr war klein. Dazu kam ein durch Jahrhunderte der Erbteilung höchst fragmentiertes Mosaik an Feldern, über welches die Sozialisten lediglich grossflächige Produktionsgesellschaften gestülpt hatten.
Landwirtschaft in der Krise
Dieses Spannungsverhältnis führt dazu, dass der durchschnittliche Betrieb in der Slowakei heute fünfmal grösser ist als im europäischen Mittel, drei Viertel des Landes aber nur gepachtet werden. Angebaut werden vor allem Mais, Gerste und Weizen, auf zwanzig Prozent der Fläche wachsen Futterpflanzen und Raps. Die endlosen gelben Felder, besonders im Osten, sind nicht zu übersehen.