Neue Zürcher Zeitung | 3. September 2012
Dynamik in der Slowakei vor allem dank der Autoindustrie
Mitgliedschaft in der Euro-Zone als komparativer Vorteil
Die slowakische Wirtschaft hat die Wachstumsschwäche der EU bisher wenig zu spüren bekommen. Zugpferd ist die Autoindustrie. Doch Beobachter warnen davor, dass die Situation prekärer sei, als die Zahlen glauben machten.
Rudolf Hermann, Bratislava
Die Slowakei hat der Wachstumsschwäche im EU-Raum in der ersten Jahreshälfte gut zu widerstehen vermocht, und dies trotz dem Umstand, dass ihre offene Volkswirtschaft in hohem Masse auf den Austausch am Gemeinschaftsmarkt angewiesen ist. Im zweiten Quartal 2012 wurde ein Wirtschaftswachstum von 2,7% im Vergleich zur Vorjahresperiode verzeichnet, was zwar etwas weniger ist als die 3% des ersten Quartals, sich im europäischen Durchschnitt und vor allem mit Blick auf die stagnierenden Nachbarn Tschechien und Ungarn aber positiv ausnimmt.
Wettbewerbsstarke Industrie
Treibende Kraft hinter dem Wachstum war laut einem Bericht des Chefökonomen der Volksbank Slovensko, Vladimir Vano, die Industrieproduktion, die im ersten Semester 2012 gegenüber der Vorjahresperiode um 10,1% zulegte. Vano wies aber darauf hin, dass von 10 erfassten Industriesektoren 8 Rückgänge verzeichnet hätten, die Zuwächse dafür bei Elektronik (10%) und vor allem in der Autoindustrie (42%) spektakulär ausgefallen seien.
Bei der Autoindustrie, die pro Kopf der Bevölkerung in der Slowakei mehr produziert als irgendwo sonst in der Welt und deren Flaggschiffe Werke von VW, PSA und Kia sind, wirkte sich laut verschiedenen Kommentatoren ein Zusammenspiel von Faktoren günstig aus. Einmal sei China als Exportmarkt auf den Plan getreten. Ferner biete die Slowakei gut ausgebildete Arbeitskräfte bei moderatem Lohnniveau, was die Wettbewerbsfähigkeit der Werke gegenüber anderen Standorten der jeweiligen Konzerne steigere, das legt nahe, dass diese ihre slowakischen Werke deshalb besser auslasteten. Und schliesslich habe die Slowakei als Land der Euro-Zone bei den Exporten in Länder mit der Gemeinschaftswährung einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Nachbarn wie etwa Tschechien, Polen oder Ungarn, die vorläufig ihre eigenen Währungen behalten hätten.
Der Volksbank-Chefökonom mahnte allerdings in einem Artikel für den «Slovak Spectator», dass die positiven Zahlen nicht zu Selbstgefälligkeit führen dürften. Es gelte zu bedenken, dass ausserhalb der Automobil- und der Elektronikindustrie praktisch nirgendwo das Wachstum begünstigende Tendenzen sichtbar seien. Das gelte angesichts des stagnierenden Konsums der Privathaushalte und der vorsichtigen Investitionspläne der Unternehmen sowohl im Inland wie auch im Aussenhandel, wo Wolken den deutschen Konjunkturhimmel trüben. Deutschland allein absorbiere nämlich 20% der slowakischen Exporte.
Fiskalische Fallstricke
Die Linksregierung von Ministerpräsident Fico will angesichts der ungewissen globalen Konjunkturentwicklung an einem vorsichtigen fiskalpolitischen Kurs festhalten und hat eben erst das Ziel eines Budgetdefizits von 3% des Bruttoinlandprodukts für 2013 bestätigt. Kritiker halten allerdings fest, dass sie dieses Ziel fast ausschliesslich durch die Erschliessung von Zusatzeinnahmen für den Staatshaushalt und nicht durch Sparanstrengungen erreichen wolle. Dieser Plan könnte aber scheitern, wenn sich die Wirtschaft schlechter als erwartet entwickeln sollte.
Ausserdem bemängeln liberale Kreise, dass ein neues Arbeitsrecht, das demnächst ins Parlament kommt, einseitig die Stellung der Arbeitnehmer ausbaue und den Arbeitsmarkt damit unflexibler mache. In unsicheren Zeiten sei aber genau das Gegenteil angezeigt. Das Gesetz könne nämlich durchaus den Effekt haben, dass eine stärkere Regulierung der Arbeitsverhältnisse die Unternehmen von Neueinstellungen abhalte und damit einen Anstieg der Arbeitslosigkeit bewirke.