tagaesschat.de, 4. Dezember 2009

19 Prozent für alle auf alles

Slowakei profitiert von Einheitssteuersatz
Ob Bäckerlehrling oder Bankdirektor - in der Slowakei gilt für alle und auf alles ein Einheitssteuersatz von 19 Prozent. Während Deutschland über Steuererklärungen auf Bierdeckeln diskutiert, würde für Slowaken wohl eine Briefmarke ausreichen. Und auch der Staat profitiert kräftig.
Von Christina Janssen, ARD-Hörfunkstudio Prag
Jedes Jahr am sogenannten "Steuerzahler-Gedenktag" können sich die Slowaken freuen: Dieser Tag markiert den Zeitpunkt, an dem die Steuerzahler rein rechnerisch beginnen, in die eigene Tasche zu wirtschaften, anstatt die Staatskassen zu füllen. Und diesen freudigen Tag feiern die Slowaken besonders früh, dieses Jahr schon Ende Mai. Die Deutschen mussten dagegen bis Mitte Juli warten. Die Slowaken haben im Durchschnitt also mehr von ihrem Lohn.
Einheitssteuer: Fundament des Erfolgs
Hauptgrund ist die Einheitssteuer. Vom Bäckerlehrling bis zum Bankdirektor, vom Blumenladen bis zum Automobilkonzern: In der Slowakei zahlen alle 19 Prozent auf alles, egal ob Einkommenssteuer, Körperschafts- oder Mehrwertsteuer. Eingeführt wurde die "Flat Tax" im Jahr 2004 und sie ist das Fundament des ökonomischen Erfolgs der Slowakei.
Ausnahmeregeln und Steuerprivilegien wurden abgeschafft, der reduzierte Mehrwertsteuersatz von 14 Prozent ebenfalls. Dadurch wurde zwar einiges teurer, wie Brot, Milch, Bücher und Medikamente zum Beispiel. Trotzdem profitierten die meisten Slowaken von der Reform, sagt Grigorij Meseznikov vom Institut für öffentliche Fragen in Bratislava: "Die Bürger waren vielleicht nicht alle im gleichen Mass auf die Reformen vorbereitet, aber letztlich haben alle gewonnen – die einen mehr, die anderen weniger."
"Flat-Tax" und EU-Beitritt locken Investoren
Auch der Staat hat gewonnen, zur Verwunderung vieler Kritiker: Trotz der nominellen Steuersenkung schnellten die Staatseinnahmen kräftig in die Höhe. Denn Steuerflucht und Steuerhinterziehung nahmen ab. Für wohlhabende Privatleute und Unternehmen lohnt es sich offenbar kaum noch, ihr Geld ins Ausland zu schaffen. Vor allem aber bescherten "Flat Tax" und EU-Beitritt den Slowaken eine wahre Flut an Investoren, vor allem aus der Automobilindustrie. VW, Kia und Peugeot-Citroen eröffneten in der Slowakei grosse Werke.
"Die Menschen konnten vom Wachstum profitieren"
Seit dem Beitritt zur Europäischen Union vor fünf Jahren wuchs die slowakische Wirtschaft rasant und stellte sogar die baltischen "Tigerstaaten" in den Schatten. Eine stolze Bilanz, meint Wirtschaftsexperte Eugen Jurzyca. Die slowakische Wirtschaft sei in den letzten Jahren im Rekordtempo gewachsen. "Sie hat in einigen Quartalen zweistellige Wachstumszahlen erreicht, einmal waren es sogar 14 Prozent", sagt Jurzyca. "Unter Ökonomen überwiegt die Ansicht, dass das zum einen auf die Wirtschaftsreformen und zum zweiten auf den EU-Beitritt zurückzuführen ist. Das hat viele Investoren motiviert, in die Slowakei zu kommen und den Menschen Arbeit zu geben. So konnten sie vom Wachstum profitieren."
Die Schattenseite sind niedrige Löhne
Allerdings sind die Löhne vom westeuropäischen Niveau noch weit entfernt. Im Durchschnitt verdienen die Slowaken gut 700 Euro pro Monat, die Deutschen rund 3000 Euro. Das ist die Schattenseite des Erfolgs.
Die Entwicklung des früher bitter armen Landes ist umso bemerkenswerter, als im Westen niemand an die Slowakei glaubte. Nach der friedlichen Trennung von Tschechien 1993 geriet das kleine Land ins Abseits. Unter dem Autokraten Vladimir Meciar schottete sich die Slowakei ab. Erst 1998, unter Premier Mikulas Dzurinda und seinem Finanzminister Ivan Miklos, startete der "Tatra-Tiger" seine Aufholjagd. <p>"Die harten Reformen haben sich gelohnt"
Dzurinda und seine Minister setzten ihre Reformen gegen massive Widerstände durch. Davon profitieren ihre Nachfolger noch heute, auch wenn die Wirtschaftskrise in der Slowakei mit voller Wucht zugeschlagen hat.
Im Januar konnte die Slowakei den Euro einführen. "Die harten Reformen haben sich gelohnt", meint Martin Chren, Wirtschaftsexperte der Hayek-Stiftung in Bratislava. "Die Slowakei konnte als erstes Land in dieser Region der Eurozone beitreten - noch vor den Nachbarländern Tschechien, Polen und Ungarn. Damit hat die Slowakei Aufmerksamkeit auf sich gelenkt und viele Standortvorteile gewonnen. Die Slowakei hat damit ein Niveau erreicht, das noch kein anderes der umliegenden Länder geschafft hat."
Steuererklärung auf einer Briefmarke?
Die Einheitssteuer ist in der Slowakei sakrosankt: Selbst der amtierende Premier Robert Fico, der das Land seit 2006 regiert, tastet sie nicht an – seiner links-populistischen Rhetorik zum Trotz. So bleibt die Slowakei, das einstige Sorgendkind Europas, ein Musterland, wenn es um einfache Steuersysteme geht. Den in Deutschland viel diskutierten Bierdeckel braucht hier niemand für seine Steuererklärung, eine kleine Briefmarke würde den meisten schon reichen.