Deutschlandfunk, 17. Oktober.2007
Eine Autobahn für die Minderheit
Streit um die Verkehrs-Infrastruktur in der Slowakei
Seit Jahren leidet die Slowakei unter einer miserablen Verkehrsanbindung. (Bild: Stock.XCHNG / Petr Pokorny)
Der Slowakei steht eines der grössten Infrastrukturprojekte in der Geschichte des Landes bevor: Mehr als 1.000 Kilometer Autobahnen und Schnellstrassen sollen in den kommenden Jahren gebaut werden. Vor allem in den armen Regionen richten sich grosse Hoffnungen auf die bessere Verkehrsanbindung. Jetzt aber gibt es Streit darüber, welche der Strecken zuerst gebaut werden sollen. Kilian Kirchgessner berichtet.
Eine grosse Landkarte hat Lubomir Vazny vor sich ausgebreitet, die Slowakei im Massstab eins zu einer Million. Dieses Papier ist derzeit die wichtigste Arbeitsunterlage für den slowakischen Verkehrsminister: Von West nach Ost, von Süd nach Nord sind gestrichelte Linien eingezeichnet - geplante Autobahntrassen, markiert in roter Farbe.
Wenn wir in dieser Legislaturperiode den Autobahnbau voranbringen, werden wir unseren Nachfahren damit ein Denkmal hinterlassen, das auch in vielen Jahren noch grosse Bedeutung haben wird. Damit das Projekt gelingt, haben wir uns vorgenommen, viele der geplanten Bauabschnitte um einige Jahre vorzuziehen.
Für eine bessere Verkehrsinfrastruktur ist es höchste Zeit. Seit Jahren leidet die Slowakei unter einer miserablen Anbindung. Vor allem der Osten und der Süden des Landes sind davon betroffen: Dort entwickelt sich die Wirtschaft im Zeitlupentempo, die Arbeitslosigkeit liegt teilweise deutlich über 20 Prozent. Potenzielle Investoren werden bislang von den stundenlangen Fahrtwegen abgeschreckt. Gerade einmal 350 Kilometer Autobahn und gute 100 Kilometer Schnellstrasse gibt es in der Slowakei - der Rest sind meist schlecht ausgebaute Landstrassen. Um die Situation zu verbessern, gibt sich Verkehrsminister Vazny nur drei Jahre Zeit.
Wichtig ist uns die Fertigstellung der nördlichen Autobahntrasse quer durch die Slowakei von Bratislava nach Kosice. Die wollen wir bis 2010 fertig haben. Nur für die Abschnitte, auf denen Tunnel durch die Berge der Hohen Tatra nötig sind, brauchen wir zwei Jahre mehr Zeit.
Im Parlament findet Lubomir Vaznys beschleunigter Autobahnbau breite Zustimmung. Einzig die Frage, welcher Abschnitt zuerst an die Reihe kommt, ist äusserst umstritten - und hat mittlerweile den Rahmen einer verkehrspolitischen Debatte gesprengt. Sie ist zum Präzedenzfall für den Umgang mit der starken ungarischen Minderheit geworden. Ihr gehören zehn Prozent der Slowaken an, im Parlament ist die Minderheit mit einer eigenen Partei vertreten. Verkehrspolitischer Sprecher ist Ivan Farkas.
Unsere Wähler, die Mitglieder der ungarischen Minderheit, wohnen vor allem im Süden der Slowakei entlang der ungarischen Grenze. Gerade in diesem Gebiet ist die Infrastruktur am meisten vernachlässigt. Nirgendwo anders ist die Arbeitslosigkeit so hoch wie hier, nirgendwo anders ist die Armut so ausgeprägt.
Die Lösung, die Ivan Farkas vorschlägt, heisst "südlicher Korridor". Die Verbindung zwischen den beiden Grossstädten Bratislava und Kosice solle über eine Schnellstrasse durch das Gebiet der ungarischen Minderheit erfolgen. Der Plan für die Trasse liegt beim Verkehrsministerium in der Schublade. Als bis vor einem Jahr noch die Minderheiten-Politiker an der Regierung beteiligt waren, genoss der südliche Korridor höchste Priorität. Die jetzige Regierung allerdings hat den Ausbau zurückgestellt. Sie rechnet mit dem ersten Spatenstich in fünf Jahren und räumt ein, dass es durchaus auch noch später werden könnte.
Das ist vor allem eine Frage des Bedarfs, sagt Verkehrsminister Lubomir Vazny. Auf der nördlichen Route messen wir jetzt schon 27.000 Fahrzeuge an einem einzigen Tag. Je weiter südlich wir kommen, desto geringer ist die Auslastung der Strassen. Wenn jemand einfach sagt, wir wollen aber als erste Region eine Schnellstrasse haben, hilft das doch nicht weiter - so liesse sich ja keine kontinuierliche Politik gestalten.
Die Hoffnung der ungarischen Minderheit richtet sich deshalb für die nächsten Jahre nicht auf Bratislava, sondern ausgerechnet auf Ungarn. Schon jetzt, so hat eine aktuelle Studie ergeben, pendeln 25.000 Mitglieder der Minderheit zur Arbeit über die Grenze nach Ungarn - in den Gebieten jenseits er Donau ist die Wirtschaftslage stabil. Für Ivan Farkas von der ungarischen Minderheitspartei ist das ein kleines Trostpflaster.
Das Wirtschaftswachstum würden wir natürlich am liebsten zu uns ins Land holen. Aber wir sind froh, dass wir uns mit der Regierung zumindest darauf einigen konnten, schon bald zwei neue Brücken über die Donau zu bauen. Dann kommen die Menschen aus dem Süden der Slowakei zum Arbeiten einfacher über die Grenze. Das kann auch schon ein wichtiger Impuls für die weitere Entwicklung sein.