NZZ, 2. März 2007
Der Kampf um das neue Antlitz Bratislavas
Zahlreiche Bauprojekte sorgen in der slowakischen Hauptstadt für Debatten
Von unserem Ostmitteleuropa-Korrespondenten Ulrich Schmid
In der Slowakei wird auch unter der populistisch-xenophoben Regierung Fico kräftig weiter investiert, nicht zuletzt im Bausektor. Zahlreiche grosse Projekte werden das Stadtbild Bratislavas in den kommenden Jahren beträchtlich verändern. Um das Hotel Kyjev, einen sozialistischen Solitär nahe der Altstadt, ist ein heftiger Streit entbrannt.
Bratislava, im Februar
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Ist es schön? So schön wie seine ferne Schwester, das Hotel Bratislava in Kiew, bestimmt. Fünfzehn Stockwerke hoch überragt das Hotel Kyjev die anmutige barocke Innenstadt von Bratislava, und was man immer vom ästhetischen Wert des gewaltigen Gebäudekomplexes halten mag: Ein Fremdkörper ist er in dieser Umgebung allemal. Selbst Ivan Matusik, der Architekt, zuckt fast entschuldigend die Schultern: «So hat man eben gebaut damals, auch im Westen. Das war eine gesamteuropäische Entwicklung.» Matusik ist ein 76-jähriger, sehr freundlicher Herr mit der flammenden Energie eines 20-Jährigen, und er stemmt sich, verständlicherweise, mit Händen und Füssen gegen den drohenden Abriss seines Hotels. Der Komplex am Kamenne Namestie (dem «Steinernen Platz»), zu dem auch ein flaches, dreieckiges Einkaufszentrum gehört, ist vor einiger Zeit in den Besitz der in Prag niedergelassenen Immobilienfirma Lordship übergegangen, und die Firma, die vor allem in Tschechien und der Slowakei, aber auch in der Ukraine und Russland tätig ist, will ihn demnächst abreissen lassen.
Vulgarisierung eines Denkmals
Zu verhindern wird dies kaum sein, denn weder das Hotel Kyjev noch das Einkaufszentrum sind unter Denkmalschutz gestellt worden, obwohl Matusik, wie er betont, mit seinem Bau etliche Auszeichnungen - unter anderem
1969 einen Preis von Dusan Jurkovic, einem international anerkannten slowakischen Architekten - gewonnen hat. Falls der Komplex oder zumindest das Hotel Kyjev nicht in letzter Minute noch zur schützenswerten Bausubstanz erklärt werden, wird der sozialistische Solitär mit seiner eigensinnigen, fast etwas autistischen Gestik wohl schon demnächst fallen. Für Matusik wäre dies nicht nur architektonischer Frevel. Er weist auch darauf hin, dass das Warenhaus (heute im Besitz der britischen Tesco) sehr lebendig sei und als einziges in der Slowakei ein volles Warensortiment führe. Er hat gegen die Firma Lordship Klage eingereicht und hofft, unter Berufung auf Autorenrechte, die die Werke von Architekten bis zu einem gewissen Grad schützen, sein grösstes und bekanntestes Werk vor dem Abriss bewahren zu können.
Dass das Hotel, das nach seiner Eröffnung im Jahre 1973 drei Sterne führte, heute einen ziemlich heruntergekommenen Eindruck macht, bestreitet Matusik nicht. Doch was kann er dafür? Man versteht seine Klagen. In der Eingangshalle, wo die schweren, runden Lampen und die breiten Treppen der siebziger Jahre, dunkles Holz und bizarre Ledersessel die Atmosphäre schaffen, in der sich einst die VIP aus dem Westen neben Funktionären des Comecon räkelten, blinken heute vulgäre Spielautomaten. Der rohe Kapitalismus des Ostens, der den Kamenne Namestie dominiert, ist bis in die Lobby vorgedrungen. Wo man einst im Restaurant Chicken Kiev serviert bekam, stapeln sich auf den Roulette-Tischen die Chips, und nebenan bietet ein strahlend freundlicher Chinese aus Henan seine Billigware an.
An der Hotelfassade hängt seit Monaten ein riesiges, grell beleuchtetes Plakat - der Berichterstatter absolvierte letztes Jahr eine Nacht in einem taghellen Raum, beschallt bis vier Uhr morgens vom Platz aus mit lauter Musik.
Reklamationen wurden an der Reception mit resigniertem Schulterzucken entgegengenommen - man verstehe sehr wohl, doch was solle man tun?
Markt sei eben Markt. Quatsch, sagt der barsche Matusik, der in Zeiten gross wurde, in denen noch der Staat für das Seelenheil der Bürger zuständig war. Eine Sünde sei das.
Doch der Architekt, der im Kommunismus Karriere gemacht hat, ohne Kommunist geworden zu sein, steht mit seiner Auffassung ziemlich allein. Ausser von der Akademie der Wissenschafter (in der Altsozialisten nicht die Ausnahme sind) und einzelnen Denkmalschützern wird er von niemandem unterstützt; eine Bürgerbewegung zugunsten der Erhaltung des Hotels Kyjev hat sich nicht formiert.
Einer von jenen, die nicht sonderlich traurig über den Abriss wären, ist der Kunsthistoriker Peter Kresanek. Für ihn ist das «Kyjev» ein Bau zwar nicht ohne architektonischen Wert, aber dennoch ein Monstrum, das keine Rücksicht nimmt auf seine Umgebung - «Vorstadtarchitektur» eben. Es fällt dem unerhört vifen Kresanek sichtlich schwer, sich zu bezähmen, obwohl er, wie er selber sagt, als ehemaliger Bürgermeister der Stadt Zurückhaltung üben sollte. Als Vertreter zunächst der Bewegung Öffentlichkeit gegen Gewalt, dann als Christlichdemokrat leitete er von 1990 bis 1998 die Geschicke der Stadt, in einer Zeit also, die noch stark vom antikommunistischen Kampf und von der Sehnsucht nach einer idealen Gesellschaft geprägt war.
Doch Kresaneks Selbstbezähmungsversuche schlagen fehl. Zu einer «bolschewistischen Wunde» wird das Hotel im Laufe des Gesprächs, und eindringlich erinnert der Kunsthistoriker daran, dass die Kommunisten - «sie hassten die Geschichte» - rund zwei Drittel der historischen Bausubstanz Bratislavas zerstörten und deshalb nun auch nicht allzu zimperlich sein sollten, wenn man einem ihrer Monumente zu Leibe rückt. Matusiks Bau habe den Genius Loci zerstört und sei letztlich dafür verantwortlich, dass sich in der Umgebung Geldwechsler, Prostituierte und Mafiosi eingenistet hätten. Nicht, dass man das dem Architekten anlasten könne. Architekten hätten sich - man denke an Le Corbusier - in den siebziger Jahren nun einmal als Sozial-Ingenieure gefühlt und weitgehend ohne Rücksicht auf die «menschliche Dimension» gebaut. Mit dem kleinstädtischen Charakter Bratislavas vertrage sich dies nicht. Das «Kyjev» habe die Umgebung vernichtet und einen Platz ohne Innenraum geschaffen, in dem sich Menschen nicht wirklich wohl fühlten.
Rätseln um das neue Projekt
Die These, dass Bauten wie das Hotel Kyjev gewisse soziale Schichten anziehen, erscheint sehr gewagt. Dass sich in der Umgebung des Kamenne Namestie das Rotlichtmilieu eingenistet hat, kann andere Gründe haben. Aber auch Stefan Slachta, der Stadtarchitekt von Bratislava, äussert sich ähnlich wie Kresanek. Slachta wird als erster Beamter seine Meinung zum Abriss zu geben haben; das letzte Wort liegt dann beim Parlament. Auch er verdammt das «Kyjev» nicht etwa als gescheiterte Architektur, betont indessen wie Kresanek, dass die Moderne sozial einfach nicht funktioniert habe und dass auch der Komplex Matusiks nicht funktioniere. Einen enormen Dünkel diagnostiziert Slachta bei gewissen älteren Architekten, und etwas unbehaglich erinnert man sich daran, dass Matusik die Bausubstanz, die die Stadt für das «Kyjev» opferte, mit einer unwirschen Geste als minderwertig abgetan hat.
Noch hat der Bauherr, Lordship, kein Projekt eingereicht; selbst Slachta hat erst eine sogenannte Ideenstudie zu Gesicht bekommen. Lordship selber gibt sich sehr zugeknöpft. Gefragt nach Besitzerstruktur, Nationalität der Besitzer und Steuersitz der Firma, sagt man uns auf dem Prager Büro, das Gesetz verpflichte die Firma nicht, derartige Angaben zu machen. Dagegen verweist man auf einen institutionellen Partner, einen Anlagefonds mit Sitz in Wien, mit dem zusammen man etliche Projekte an die Hand genommen habe. Dass es noch kein «formalisiertes» Projekt für das Vorhaben in Bratislava gebe, wird in Prag bestätigt. In PR-Broschüren spricht Lordship von einem auf 5 Milliarden slowakische Kronen (rund 237 Millionen Franken) veranschlagten, 30 000 Quadratmeter umfassenden Projekt, das den Bau von zwei Hotels, Büroräumen und Luxusapartments vorsieht. Betriebsbereit sein soll die Anlage bis Weihnachten 2009.
Eine «Einuferstadt»
Im Prager Büro weist man allerdings darauf hin, dass sich sowohl der Charakter des Projektes als auch der Zeitpunkt der Fertigstellung noch ändern könnten. Man arbeite eng mit der Stadt Bratislava zusammen. Slachta kritisiert die Unverbindlichkeit von Lordship. Er empfiehlt den Bauherren die Ausschreibung eines offenen Wettbewerbs, dessen Sieger von einer internationalen Jury erkürt werden solle. Man kann diesen Vorschlag als den Versuch einer Ehrenrettung für Matusik werten: Gutes sollte, wenn überhaupt, durch Besseres ersetzt werden. Einfach sang- und klanglos verschwinden soll das kantige, in seiner Art durchaus imposante Werk denn doch nicht.
Wie immer der Streit enden wird - dass Bratislava in den nächsten Jahren ein umfassendes Facelifting erhalten wird, steht fest. Augenscheinlich haben die internationalen Investoren beschlossen, dass die in Westeuropa unbeliebte, linkspopulistisch-xenophobe Regierung von Ministerpräsident Robert Fico entweder nicht ganz ernst zu nehmen ist oder aber schon bald Geschichte sein wird. Keines der grossen slowakischen Bauprojekte ist abgeblasen worden, es wird investiert wie eh und je. Als sehr kultiviert bezeichnet Slachta das gigantische Projekt «Eurovea» der in Irland niedergelassenen Immobilienfirma Ballymore. Vorgesehen ist eine Siedlung mit rund 250 Wohnungen, ebenfalls nahe der Innenstadt, gehalten in der postmodernen Formensprache, wie sie mittlerweile überall in Europa Usus ist.
Vor allem die Idee, die Donau wieder mehr ins Stadtbild zu integrieren, leuchtet ein. Im Gegensatz zu vielen mitteleuropäischen Orten mit kleinen Flüssen finden sich an der unteren Donau fast nur noch sogenannte Einuferstädte. Der Fluss ist zu breit, er trennt mehr, als er vereint, und Brücken sind gewaltige städtische Projekte, keine bequemen Verbindungen. Wien, Krems, aber auch Linz haben ihre Fühler erst vor relativ kurzer Zeit über das grosse Wasser gestreckt, und auch Buda war lange Zeit eine Stadt für sich. In Bratislava ist das nicht anders. Ennet der Brücke aus kommunistischer Zeit, über der an kühner Strebe ein spektakuläres Luxusrestaurant klebt, finden sich, einsam und bar jeder Urbanität, ein Kongress- und ein Einkaufszentrum. Weit dahinter folgt dann der «vierte Quadrant» Bratislavas, der Stadtteil Petrzalka, der sich erst in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Vorher lagen in dieser Gegend, abseits und ohne Verbindung zur Hauptstadt, einige Dörfer und Weiler. In Bratislava hat sich aber auch deshalb keine rechte Promenade entwickelt, weil die Donau - ein Gewässer mit Gebirgsfluss-Charakter, wie Slachta sagt - stark reisst, das Spazieren mit Kindern am Ufer also nicht empfehlenswert ist.
Zukunftsvisionen
Das «Eurovea»-Projekt respektiere den Massstab Bratislavas, sagt Slachta - ein Lob, das er dem Vorhaben «River Park» nicht in diesem Ausmass zu zollen gewillt ist. Zwar begrüsst er das Projekt, das weit in die Donau hineinragen soll, grundsätzlich, doch ist für sein Empfinden das geplante Kempinski-Hotel mit seinen vierzehn Stockwerken zu hoch. Auch dass in den PR-Broschüren der slowakischen CE-Invest-Gruppe Segelschiffe auftauchen, irritiert ihn sichtlich: Man segelt nicht auf der reissenden Donau. 120 Millionen Euro will CE-Invest für das Uferprojekt, in dem 178 Wohnungen Platz finden sollen, aufwerfen. Erst Vision, aber dennoch keine Träumerei ist das Vorhaben «Marina City» am alten Donau-Hafen. Slachta bezeichnet es als die logische Verlängerung der «Eurovea»-Siedlung und als sehr attraktiv. Doch Bratislava wächst nicht nur in die Breite. Die Stadt will auch hoch hinaus. Während es in Prag erst drei Hochhäuser gibt, die über hundert Meter hoch sind, und Brünn sich mit einem einzigen derartigen Bau begnügen muss, stehen in Bratislava bereits sechs solche Wolkenkratzer. Fünfzehn sind geplant: Einfallslose Kommentatoren werden gewiss schon bald von einem «Manhattan an der Donau» sprechen.