Archiv - Politik / Gesellschaft
Basler Zeitung, 26. Dezember 2012
Auseinandergelebt – und doch verbunden
Vor 20 Jahren trennten sich Tschechen und Slowaken auf friedlichem Weg – fast zeitgleich mit dem blutigen Zerfall Jugoslawiens. Heute stehen sich die ehemaligen Brudervölker jedoch wieder näher denn je.
«Auf Wiedersehen» heisst slowakisch «Dovidenia», aber tschechisch «Na shledanou». Diesen Unterschied zwischen den sonst sehr ähnlichen Sprachen der einst in der gemeinsamen Tschechoslowakei vereinten Geschwisternationen kennt jeder, der um Mitternacht das öffentlich-rechtliche Fernsehen der Slowakei verfolgt.
Da werden nämlich jeden Tag zum Sendeschluss wie in den Zeiten des gemeinsamen Staates die tschechischen Nachrichten aus dem Prager Hauptabendprogramm wiederholt. TV-Zuschauer vor allem in der Slowakei, aber auch in Tschechien, erleben tagtäglich eine Wiedervereinigung der beiden vor 20 Jahren staatlich getrennten Nationen auf dem Unterhaltungssektor.
Wenn die Schweiz ihren «Superstar» sucht, dann suchen ihn Tschechien und die Slowakei schon seit mehreren Jahren gemeinsam als «Tschecho-Slowakischen» Superstar – allerdings mit Bindestrich als Hinweis, dass es den gemeinsamen Staat nicht mehr gibt. Das gleiche gilt für eine ganze Reihe internationaler Unterhaltungsshows, welche die beiden Länder und ihre TV-Anstalten längst gemeinsam abwickeln, als hätte es die staatliche Trennung nie gegeben.
Gemeinsame Fussball-Liga angedachtEine gemeinsame Fussball-Liga ist seit Jahren angedacht, bisher aber am Widerstand der Uefa gescheitert. Auch eine lange Zeit realistischer scheinende gemeinsame Eishockey-Liga bleibt weiterhin nur eine Idee. International wenig bemerkt haben die beiden Länder allerdings gemeinsame Truppen für internationale Militärmissionen von UNO und Nato zusammengestellt und wollen diese nach Angaben des slowakischen Regierungsamtes auch weiter ausbauen.
Das Annäherungsbedürfnis ist in der mit 5,4 Millionen Einwohnern knapp halb so grossen Slowakei stärker ausgeprägt. Dort ist Tschechisch aufgrund eines neuen Sprachgesetzes der slowakischen Sprache gleichgestellt und braucht auch in offiziellen Dokumenten nicht übersetzt zu werden. Umgekehrt hat die slowakische Sprache im grösseren Tschechien immens an Bedeutung verloren. 20 Jahre nach der Teilung des gemeinsamen Staates leben nur rund 150'000 Slowaken zwischen Riesengebirge und Böhmerwald.
Stimme der HeimatFür sie ist Lubica Svarovska so etwas wie die Stimme der Heimat. Im Rundfunkgebäude in der Prager Vinohradska-Allee leitet die Slowakin ein eigenes Programm für die Minderheit. Während ihre slowakischen Verwandten an Neujahr 1993 die Unabhängigkeit bejubelt hatten, war Svarovska zum Heulen zumute.
«Die Teilung der Tschechoslowakei hat mich tief verletzt, und ich war verärgert über die Politiker, die das Volk nicht befragt hatten.» Zu einem Referendum hätten sich die damaligen Entscheidungsträger nicht durchringen können, sagt der Historiker Oldrich Tuma. «Keiner wollte ein Referendum, weil niemand öffentlich für die Teilung agitieren wollte», erklärt der Leiter des Prager Instituts für Zeitgeschichte.
Mit der einvernehmlichen Teilung habe die damalige Führungsriege aus Vaclav Klaus und Vladimir Meciar dennoch eine rationale Lösung für einen seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt gefunden, sagt Tuma. «Der Staat wurde letztlich auf kultivierte Weise geteilt – im Gegensatz zu Jugoslawien ohne Gewalt und Konfrontation.»
(ses/sda)