Neue Zürcher Zeitung, 24. Juni 2010
Machtwechsel in der Slowakei
Fico mit Regierungsbildung gescheitert - der Staatspräsident gibt den Auftrag an Radicova weiter
Der slowakische Ministerpräsident Fico, dessen Partei in den Wahlen vor zehn Tagen am meisten Stimmen erhalten hatte, vermag keine Regierung zu bilden. Nun liegt der Ball bei den Oppositionsparteien, die sich bereits auf ein Programm geeinigt haben.
Rudolf Hermann, Prag
Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico hat am Mittwoch bei einem Treffen mit Präsident Gasparovic erklärt, es sei ihm nicht gelungen, eine neue Regierung zu bilden, weshalb sein Kabinett bei der ersten Sitzung des neuen Parlaments Anfang Juli zurücktreten werde. Ficos sozialdemokratisch ausgerichtete Partei Smer hatte zwar die Wahlen vom 12. Juni mit 35 Prozent Wähleranteil deutlich gewonnen, konnte aber niemanden finden, der bereit gewesen wäre, eine Koalition einzugehen.
Damit dürfte die nächste Regierungschefin Iveta Radicova heissen. Die Spitzenpolitikerin der Slowakischen Demokratischen und Christlichen Union (SDKU) erhielt als Zweite die Möglichkeit, ein Kabinett zu bilden, wobei Präsident Gasparovic bei der Zeremonie ein bemerkenswerter Fehler unterlief - er bezeichnete Radicova als Vizevorsitzende der Smer-Partei und verbesserte sich erst, als sie ihm zu verstehen gab, dass sie einer anderen Gruppierung angehöre.
Kohabitation am Horizont
Gasparovic wäre Fico, ein Linkspopulist mit nationalistischen Neigungen, zweifellos genehmer und auch politisch näher gewesen. Nun muss er sich auf eine Kohabitation mit einer Viererkoalition rechts der Mitte einstellen. Neben der SDKU umfasst diese die kometenhaft aufgestiegene, aber noch schwer einzuschätzende liberale Formation Sloboda a Solidarita («Freiheit und Solidarität», SaS), die Christlichdemokratische Bewegung (KDH) und die ebenfalls neue Formation Most-Hid («Brücke»), die einen Bogen spannt von moderaten Vertretern der ungarischen Minderheit zu auf ethnischen Ausgleich bedachten Slowaken.
Mögliche Bruchstellen für ein solches Bündnis gibt es manche, etwa die ziemlich gegenläufigen Vorstellungen von SaS und KDH über die Rolle der Kirche in der Gesellschaft und die Stellung von gleichgeschlechtlichen Paaren. Doch in einer Marathonsitzung von Dienstag auf Mittwoch zimmerten die neuen Koalitionspartner ein Programm, das auf die Gemeinsamkeiten fokussiert ist und nicht die trennenden Elemente.
Zuoberst auf der Liste steht ein ökonomisches Reformprogramm. Hier erbt die neue Regierung einen Staat in zweifelhafter Verfassung. Neueste Zahlen sprechen von einem Haushaltsdefizit für 2010 in der Grössenordnung von 7 Prozent des Bruttoinlandproduktes, gegenüber 5,5 Prozent, wie von der abtretenden Regierung budgetiert.
Fico erklärte am Mittwoch nach einer Kabinettssitzung, seine Regierung übergebe eine gesunde Volkswirtschaft in gutem Zustand. Dies müsse wohl ein Witz sein, liess sich der SaS-Vorsitzende Sulik vernehmen. Gerüchte über ein hohes Defizit waren schon vor den Wahlen kursiert, doch die Smer-Partei hielt die statistischen Daten wohlweislich bis nach dem Urnengang unter Verschluss. Unabhängige Wirtschaftskommentatoren kritisierten Fico dafür, statt Sparanstrengungen unternommen das Land mit Schulden beladen zu haben und nicht ausreichend gegen die zunehmende Arbeitslosigkeit vorgegangen zu sein.
Die Zeitung «Sme» schrieb, in der gegenwärtigen Situation sei es nicht einfach, jemanden zu finden, der sich als Finanzminister blitzartig unbeliebt machen wolle - entweder dadurch, dass er spare, was denen missfalle, die den Gürtel nicht enger schnallen wollten, oder dadurch, dass er nicht spare und sich dem Vorwurf aussetze, die Slowakei auf einen «griechischen Weg» zu führen.
Korruptionsbekämpfung
Weitere Akzente der Arbeit der neuen Koalition sollen auf der Bekämpfung der Korruption liegen, die während der Regierungszeit Ficos klar zugenommen hat, auf besserer Transparenz in der staatlichen Verwaltung und bei der Vergabe von Staatsaufträgen sowie einer dringend notwendigen Justizreform.
Die bisherige effiziente Arbeit der Viererkoalition deutet darauf hin, dass auch die nun anstehende Ausmarchung der Verteilung der Ressorts speditiv über die Bühne gehen könnte.