"Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2010
Flat Tax steht als Wahlsieger fest
Linke Rhetorik, aber rechte Wirklichkeit: Eines der liberalsten Steuersysteme Europas ist bei den Parlamentswahlen in der Slowakei am Samstag kein Zankapfel mehr. Alle Parteien sprechen sich dafür aus
Bratislava. Wo gibt es das: Ein Politiker, der mit heftiger Kritik an Privilegien für die „Reichen“ die Wahl gewinnt – und nach vier Jahren Amtszeit als Regierungschef noch immer so unternehmerfreundliche Bedingungen für eben diese „Reichen“ bietet, wie sie in Österreich oder Westeuropa nicht durchsetzbar wären? Der sozialdemokratische Premier Robert Fico hat diesen Spagat geschafft und trotzdem bei seiner wichtigsten Wählerklientel, der unteren Mittelschicht, seine Popularität erhöht.
Die Parlamentswahlen am Samstag könnten daher zwar wegen der schwachen Umfragewerte von Ficos Koalitionspartnern einen Umbruch in der slowakischen Parteienlandschaft bringen, aber keine Veränderung der wirtschaftspolitischen Ausrichtung des Landes. Denn die stärksten Herausforderer Ficos sind jene christdemokratischen und liberalen Parteien, die in der Slowakei das Steuersystem geschaffen haben, das Fico zunächst heftig kritisiert hat, inzwischen aber selbst als Vorzug der Slowakei im Standortwettbewerb anpreist: „Die Einheitssteuer kommt bei den ausländischen Investoren so gut an, es wäre ein Fehler, sie abzuschaffen“, sagt er jetzt.
Steuerwettbewerb in Osteuropa
Als die christlich-liberale Vorgängerregierung 2004 mit der Einführung der Flat Tax von 19 Prozent für alle Firmen- und Privateinkommen für Furore sorgte, war Fico noch einer der heftigsten Kritiker gewesen. Inzwischen ist auch er überzeugt, dass neben EU-Mitgliedschaft und niedrigen Löhnen gerade die Einheitssteuer dazu beigetragen hat, dass er in den Jahren 2007 und 2008 für die Slowakei das höchste Wirtschaftswachstum der EU vorweisen konnte. Nach nur einem Jahr des wirtschaftlichen Einbruchs startet der „Tigerstaat“ schon wieder kräftig durch: Mit 4,8Prozent Wirtschaftswachstum im ersten Quartal 2010 (im Vergleich zum ersten Quartal 2009) ist die Slowakei wieder die Nummer eins in der EU. Alle Prognosen deuten darauf hin, dass das Land diese Führungsposition auch für das Gesamtjahr behaupten wird.
Auch ausländische Experten wie etwa der österreichische Steuerberater Günter Oszwald von Ernst & Young bescheinigen der Fico-Regierung eine „trotz aller linken Rhetorik sehr unternehmerfreundliche Politik“. Und ein Teil von Ficos nationalistischen Koalitionspartnern hat in den vergangenen vier Jahren so wie ein Teil der christdemokratischen Opposition statt einer Abschaffung eher die weitere Senkung der gegenwärtigen Flat Tax auf 16 oder gar 14 Prozent angeregt. Längst ist das Erfolgsmodell nämlich in Rumänien und anderen Transformationsländern mit niedrigeren Sätzen als in der Slowakei eingeführt worden.
Laut Oszwald bringt ein Wettbewerb um Steuersätze aber weniger Nutzen als der von Fico eingeschlagene Weg einer Verwaltungsvereinfachung und Kürzung von Sozialabgaben und Steuern.
Wo sich im slowakischen Wahlkampf aber tatsächlich wirtschaftspolitische Glaubensunterschiede zeigten, das waren die Rezepte zur Defizitbekämpfung: Ficos Sozialdemokraten und die bürgerliche Opposition werfen sich dabei gegenseitig verfehlte Wirtschaftskonzepte vor: Fico warnt, ein Oppositionssieg werde einen Stopp des Autobahnbaus und des Ausbaus der Atomkraftwerke bringen. Dabei sei „ein starker Staat“ in Krisenzeiten der wichtigste Motor der Volkswirtschaft. Die Opposition kontert, Ficos Philosophie funktioniere nur mittels rasanter Vermehrung der Staatsschulden.
Streitpunkt Staatsausgaben
Tatsächlich befindet sich das slowakische Budgetdefizit zwar im EU-Durchschnitt, und der Gesamtschuldenstand ist sogar der zweitniedrigste der EU, für slowakische Verhältnisse bedeutet das aber dennoch einen Negativrekord mit der bisher schnellsten Steigerung.
Der ehemalige EU-Kommissar Jan Figel, der jetzt die zweitstärkste christdemokratische Oppositionspartei KDH führt, warnt daher: Nach vier Jahren Fico-Regierung sei „die Speisekammer leer. Die nächste Regierung wird es daher schwer haben“. Die Opposition wirft der Regierung zudem Verschleierung der tatsächlichen Verschuldung vor. Die hat nämlich heuer begonnen, den Autobahnbau über PPP-Projekte (Private Partnership Projects) zu finanzieren, was sich im Budget erst nachträglich niederschlagen wird. In der traditionellen Oppositionshochburg Bratislava ist – anders als im eher mit Fico sympathisierenden Landesinneren – auch bei Passanten auf der Straße immer wieder zu hören: „Ich will nicht, dass sogar noch meine Urenkel für die Schulden zahlen müssen, die diese Regierung jetzt verursacht!“