Archiv - Politik / Gesellschaft
NZZ am 29. August 2006
Turbulenzen um die slowakische Regierung
Ficos populistisch-xenophobes Kabinett sucht nach Weggenossen
Es ist nach wie vor einsam um die neue slowakische Regierung unter dem Populisten Robert Fico. Zwar fährt der Ministerpräsident wirtschaftlich einen moderaten Kurs. Aber sein xenophober Koalitionspartner, die Nationalpartei, bereitet ihm zunehmend Sorgen.
U. Sd. Prag, 28. August
In der westslowakischen Stadt Nitra ist am Freitag ein ungarischsprachiges Mädchen von zwei Unbekannten angegriffen worden. Die Männer zwangen die junge Frau, die sich auf ihrem Handy auf Ungarisch unterhalten hatte, dazu, ihre Bluse auszuziehen, und schrieben darauf «Tod deinen Vorfahren!» und «Ungarn, zurück über die Donau!». Der Fall hat unterschiedliche Reaktionen provoziert. In der Slowakei scheint man primär peinlich berührt zu sein. Die Polizei ermittelt und hat den Fall vorläufig als «Raub» klassifiziert; ein Polizeisprecher in Bratislava gab zu, die Angelegenheit könnte ein nationalistisches Element enthalten. Im Übrigen tut die Regierung ihr Möglichstes, um die Tatsache vergessen zu machen, dass Jan Slota, der Chef der im Kabinett von Ministerpräsident Robert Fico mitwirkenden Nationalpartei (SNS), seit Jahren mit ätzenden Ausfällen gegen die ethnischen Ungarn in der Slowakei hetzt.
Hochgeschraubte Rhetorik
In Budapest gab man sich in dem Masse besorgt, in dem Bratislava die Gemüter zu beschwichtigen trachtete. Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany berief am Wochenende eine Pressekonferenz ein und sagte, er habe Fico aufgefordert, die zunehmende ausländerfeindliche und antiungarische Rhetorik sowie die «Serie von Greueltaten», denen ethnische Ungarn zum Opfer gefallen seien, zu verurteilen. Das Schweigen der Politiker müsse ein Ende haben, sagte Gyurcsany. Der slowakische Botschafter in Budapest wurde am Montag zitiert, um die schriftlich formulierten Forderungen Gyurcsanys entgegenzunehmen. Der Oppositionsführer Viktor Orban verwendete eine noch deutlichere Rhetorik und forderte das Budapester Kabinett auf, sich vermehrt für die Auslandungarn einzusetzen - wie genau, liess er wie immer offen.
Natürlich ist Gyurcsanys Rhetorik aus innenpolitischen Gründen markant überhöht. Der Wettbewerb der beiden grossen populistischen ungarischen Parteien - der Sozialisten und der Jungdemokraten (Fidesz) - lässt nun einmal die gelassene, abwägende Reaktion nicht zu; der Gegner würde sie sofort als «unpatriotisch» brandmarken. Die anderen «Greueltaten», die der ungarische Regierungschef im Visier hat, sind vermutlich die an Primitivität tatsächlich kaum zu überbietenden Verbalattacken Slotas gegen die Slowaken ungarischer Abstammung, gegen deren politische Vertretung, die Ungarische Koalitionspartei, die der SNS-Führer am liebsten verbieten möchte, und gegen die schwächste aller Minderheiten, die Roma. Sorge bereitet hat den Behörden auch ein Videofilm, der Anfang August kurze Zeit auf dem Internet abzurufen war und die Verbrennung einer ungarischen Flagge zeigte. In Ungarn revanchieren sich derzeit Fussballfans mit Transparenten, auf denen «Jan Slota muss sterben» steht.
Drohendes Ausschlussverfahren
Das slowakische Aussenministerium hat das Videoband mit der Fahnenverbrennung verurteilt, im gleichen Atemzug jedoch die ungarische Reaktion darauf als unangemessen bezeichnet. Fico selber ist bis jetzt nicht auf die einzelnen Vorfälle eingegangen, sondern hat es bei allgemeinen Statements bewenden lassen, in denen er darauf pocht, dass die Slowakei sämtliche Formen des Extremismus und der Intoleranz ablehne und hart gegen diese Erscheinungen vorgehen werde. Ermahnungen aus dem Ausland habe man nicht nötig.
Genützt haben die trotzigen Rechtfertigungen wenig. Die Slowakei Ficos sieht sich von Misstrauen und Ablehnung umgeben, und selbst die Partei der Europäischen Sozialisten (PES), die sich vor der Wahl noch über Ficos weitgehende Umverteilungspläne freute, plant Übles. Wie ein PES-Sprecher gegenüber der NZZ am Montag sagte, wird das Präsidium an seiner nächsten Sitzung am 12. Oktober in Brüssel über einen Antrag der Gruppe sozialistischer Europaabgeordneter befinden, die Smer, Ficos Partei, wegen ihrer Zusammenarbeit mit Slotas SNS aus der PES auszuschliessen. Anders Fogh Rasmussen; der dänische Ministerpräsident, der die europäischen Sozialisten präsidiert, begrüsst laut dem Sprecher den Antrag der Gruppe.
Bemühen um gemässigtes Profil
Ein Ausschluss aus der PES wäre für Fico eine kleine Katastrophe und hätte wohl weitreichende Folgen. Der Ministerpräsident spricht seit der gewonnenen Wahl, als habe es den Populisten Fico nie gegeben, und bemüht sich prononciert um ein gemässigtes Profil, um Europafreundlichkeit, wirtschaftliches Mass, ja sogar um Toleranz. In der Stadt Dunajska Streda in der Südslowakei hat er Anfang August ein Denkmal zugunsten der Roma-Opfer des Holocaust im Zweiten Weltkrieg eingeweiht - ein Schritt, der zu anerkennen ist und der den Rassisten Slota, der im Umgang mit den Roma auch schon «einen kleinen Hof und eine lange Peitsche» empfohlen hat, aufs Äusserste erbittern muss. Bis zu einer halben Million Roma wurden während des Krieges von den Nazis und ihren willigen Helfern - unter ihnen befanden sich auch Slowaken - umgebracht.
Ob Slotas Einfluss tatsächlich so gering ist, wie viele behaupten, bleibe dahingestellt. Sicher, er sitzt ebenso wenig im Kabinett wie der dritte grosse slowakische Populist, Vladimir Meciar, dessen Bewegung für eine Demokratische Slowakei ebenfalls mit Fico koaliert hat. Doch sein wichtigstes Ziel, die Entfernung der Ungarischen Koalitionspartei aus der Regierung, hat er bereits erreicht, und die Tageszeitung «Sme» vermutet, die permanenten Provokationen Slotas richteten sich nicht nur gegen die verschiedenen Ausländergruppen, sondern auch gegen Fico selber, von dem er sich Konzessionen erhoffe.
Unterstützung von Paroubek
Internationalen Sukkurs erhält Fico derzeit nur von einem anderen bewährten Populisten - vom abtretenden (wenn auch gewiss nicht ambitionslosen) tschechischen Ministerpräsidenten Jiri Paroubek. Er halte die Kritik an der Regierung Fico für stark übertrieben, sagte der Prager Politiker bei einem Treffen mit Fico im Örtchen Lubina südwestlich von Trencin am Wochenende. In den «relativ starken und deutlichen nationalistischen Tendenzen in Polen» sieht Paroubek eine weit grössere Gefahr für die Demokratie als im Zusammengehen Ficos mit Slota und Meciar - gewiss keine überraschende Einschätzung, denn die antikommunistische Stringenz der Brüder Kaczynski muss dem Exkommunisten Paroubek ebenso unheimlich sein wie der jahrelange Kampf der auch im Westen unbeliebten Brüder in der illegalen Solidarnosc Seite an Seite mit Lech Walesa. Die Erinnerung lohnt sich: Während die Brüder Kaczynski damals unter erbärmlichsten Umständen und ohne die Gewissheit, jemals zum Erfolg zu kommen, gegen die Diktatur kämpften, stärkte Paroubek als Kommunist in der Prager Stadtverwaltung seinen Einfluss.