Welt Online, 3.Januar 2010
Die musikalische Wiedervereinigung von Tschechen und SlowakenVON HANS-JÖRG SCHMIDTKnapp zwei Jahrzehnte wollten sie nichts miteinander zu tun haben. Jetzt gehen sie in der "Superstar"-Sendung aufeinander zu
IMartin Chodour heißt er, ist noch keine 20 - und doch schon Millionär. Das Geld und einen Plattenvertrag erhielt der im tschechischen Ostrava geborenen Chodur nach seiner Kür zum ersten gemeinsamen tschechisch-slowakischen Superstar. Im Finale schlug er Miro Smajda aus dem slowakischen Kosice knapp, aber nicht unverdient. Chodur hat eine Stimme wie Tom Jones, Smajda ist eher ein Rocker, der bei den leisen Liedern ein paar Probleme offenbarte.
Über mehrere Wochen hielt der Talentwettbewerb zwei Nationen in Atem. Den beiden veranstaltenden privaten Fernsehstationen TV Nova und TV Markiza bescherte er regelmäßig riesige Einschaltquoten. In den vergangenen drei Jahren hatten Tschechen und Slowaken ihre Superstars in getrennten Veranstaltungen ausgewählt. Die Wettbewerbe verloren an Zuschauern, vieles wiederholte sich einfach nur noch und langweilte zunehmend. Deshalb die Idee der beiden Fernsehsender, einen gemeinsamen Wettbewerb auf die Beine zu stellen.
Nicht nur die Bewerber um den Titel kamen aus beiden Nachbarländern. Auch das Moderatorenpaar und die Jury setzten sich paritätisch aus Tschechen und Slowaken zusammen. Wie einst im gemeinsamen tschechoslowakischen Staat, als nicht nur wöchentlich die Nachrichten im Wechsel in Prag und Bratislava (Pressburg) produziert wurden, sondern bei Fußball- oder Eishockey-Übertragungen alle fünf Minuten der slowakische den tschechischen Kommentator ablöste. Sekundengenau wurde das eingehalten, damit sich keine Nation benachteiligt fühle.
Nach der Teilung am 1. Januar 1993 wären solche gemeinsamen Wettbewerbe wie der jetzige nicht denkbar gewesen. Vor allem die Slowaken waren stolz auf ihren eigenen Staat. Die Regierung hatte nichts Eiligeres zu tun, als ein Gesetz auszuarbeiten, das es dem slowakischen Fernsehen sogar verbot, Kindersendungen auf Tschechisch auszustrahlen. Slowakische Kinder sollten nur noch Slowakisch sprechen. In Tschechien war das nicht anders. Aus den Fibeln für die Erstklässler verschwanden die slowakischen Texte. Mit verheerenden Folgen: Zehn Jahre nach der Teilung der Tschechoslowakei hatten tschechische Schulkinder große Schwierigkeiten, slowakische Texte inhaltlich zu erfassen. Und das, obwohl sich Tschechisch und Slowakisch so wahnsinnig nicht voneinander unterscheiden. Hamburger haben mehr Probleme, einen echten Bayern zu verstehen.
Den älteren Fernsehzuschauern blieben immerhin die täglichen Hauptnachrichtensendungen aus dem jeweiligen neuen Nachbarland erhalten, auch wenn die meist zu nachtschlafender Zeit ausgestrahlt wurden. Doch der über Jahrzehnte bei den Tschechen sehr beliebte Dienstagabend im Fernsehen beispielsweise, an dem slowakische Theaterstücke ausgestrahlt wurden, fiel flach.
Man war deshalb gespannt, wie sich vor allem die jungen angehenden Sangeskünstler beim "Superstar" in den Gesprächen mit der Jury und den Moderatoren schlagen würden. Einige der Sänger waren gerade mal 15 Jahre alt, also erst nach der Teilung geboren worden. Erstaunlicherweise verstanden sich aber alle Tschechen und Slowaken zumeist problemlos. Natürlich waren die Gespräche auch nicht sonderlich tiefschürfend.
Schwieriger gestaltete sich die Interpretation der Musik. An Themenabenden waren die Anwärter beispielsweise aufgefordert, Lieder des Tschechen Karel Gott oder des Slowaken Richard Müller zu singen. Im Original, also jeweils auf Tschechisch beziehungsweise Slowakisch. Dies fiel einigen der Stars und Sternchen doch hörbar schwer.
Die Chefs der beiden Fernsehstationen zeigten sich jedoch glücklich, dass mit dem Wettbewerb wieder das Slowakische nach Tschechien und das Tschechische in die Slowakei getragen worden sei. Man habe mit der gemeinsamen Aktion nicht nur die Grenze überschritten, sondern auch die Sprachbarriere. Dass eine ganze Reihe der Lieder auch auf Englisch gesungen wurde, fiel da nicht wirklich ins Gewicht.
Die Zeitungen in beiden Ländern würdigten das "tschechisch-slowakische Retroprojekt der Föderation" einhellig. Alle seien auf ihre Kosten gekommen: diejenigen, die bis heute dem gemeinsamen Staat nachtrauerten, wie auch die, die die Teilung als Beitrag dazu verstehen, dass beide Nachfolgestaaten der Tschechoslowakei sich heute besser denn je verstehen. Dem Vernehmen nach gibt es auch schon Verhandlungen darüber, den "Slowakischen Dienstag" wieder ins tschechische Fernsehen zu bringen.
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