07.03.2008 | 18:29 | PETER MARTOS (Die Presse)
Der Tokajer fließt grenzenlos
WIEN.„Tokaji aszú“ ist kein
Getränk für jeden Geschmack: Je mehr
Butten die Qualität anzeigen, desto süßer
ist der Wein aus dem Hügelland rund um
die nordostungarische Kleinstadt Tokaj. Seit
ihn der französische Sonnenkönig Ludwig
XIV. als „Wein der Könige, König
der Weine“ (vinum regnum, rex vinorum)
bezeichnet hat, gehört er zu den berühmtesten
Agrarprodukten Ungarns.Und vielleicht auch bald
der Slowakei. Das ist nämlich Schengen
pur: Die beiden Staaten haben sich darauf geeinigt,
in der historischen Weinregion die Grenze zu
vergessen. Winzer, die sich an die ungarischen
Weinbauregeln halten, dürfen den Markennamen
„Tokajer“ verwenden. Mit dem Durchbruch
wird ein jahrzehntelanger Streit endgültig
beigelegt. Der auf Drängen der EU erzielten
theoretischen Regelung von 2004 folgt jetzt
die gemeinsame Praxis.
Sorge um das Welterbe
Gemeinsamkeit ist „zu Füßen
des Berges Tokaj“, wie die Gegend Tokaj-hegyalja
übersetzt heißt, dringend geboten.
Mindestens drei Industrieprojekte in unmittelbarer
Nähe der Weinregion stellen deren Titel
„Welterbe“ in Frage. Ungarn hat
der Unesco Anfang Februar einen Bericht übermittelt,
der wenig Positives enthält. Das Dokument
analysiert zwei Kraftwerksprojekte: eines im
ungarischen Szerencs und eines im slowakischen
Trebisov. Und dazu „andere Probleme, die
durch Pläne aufgeworfen werden und die
Welterbe-Werte der Weinregion potenziell gefährden“.
Gemeint ist der Plan, auf slowakischer Seite
im Tagebau Perlit abzubauen. Die Unesco beschäftigt
sich im Sommer damit.
Ein Problem haben die Slowaken völlig unerwartet
gelöst: Das Kohlekraftwerk in Trebisov
wird nicht gebaut. Nachdem Protestwellen und
eine Unterschriftensammlung der örtlichen
Bevölkerung den Boden bereitet hatten,
kam Ende Februar der Knalleffekt: Der slowakische
Wirtschaftsminister L'ubomír Jahnátek
bezeichnete es als überflüssig. Die
italienische Enel als Eigentümerin der
Slowakischen Elektrizitätswerke plane nämlich
die Modernisierung des Wärmekraftwerks
in Vojany unweit der Grenze zur Ukraine –
und zwei Investitionen seien nicht notwendig.
Trebisov war pikanterweise ein Projekt der „Tschechisch-Slowakischen
Energiegesellschaft“ CEZ, die seit der
Trennung der Staaten rein tschechisch ist.
Nach der Wein-Einigung treiben die Agrarminister
der Slowakei und Ungarns, Zdenka Kramplová
und József Gál, eine umfassende
Vereinbarung über den Schutz der Tokaj-Gegend
voran. Allerdings wird es da noch harte Diskussionen
geben. Während nämlich der ungarische
Umweltminister Gábor Fodor seinem slowakischen
Kollegen Jaroslav Izák vorwarf, Trebisov
noch im Jänner genehmigt zu haben, konterte
Izák: In Ungarn werde mit der Umwelt
„nicht so rücksichtsvoll umgegangen
wie in der Slowakei“.
Die Bilanz seit dem Schengen-Beitritt der Slowakei
und Ungarns fällt trotzdem eher positiv
aus. Während zahlreiche grenzüberschreitende
Infrastrukturprojekte wie die Brücken über
die Grenzflüsse Donau und Ipoly vorangetrieben
werden, konstatiert die Ungarische Handels-
und Industriekammer zwar eine „Offensive“
slowakischer Firmen, aber keine Abwanderung
ungarischer Unternehmen in die Billiglohngebiete
der Ostslowakei.
Die Regionalkammer im nordostungarischen Komitat
Borsod-Abaúj-Zemplén sieht das
anders: Für mehrere ungarische Gemeinden
sei das slowakische Kosice (Kaschau) leichter
erreichbar als Ungarns zweitgrößte
Stadt Miskolc, wurde Kammerpräsident Tamás
Bihall kürzlich von der Tageszeitung „Világgazdaság“
zitiert. Was auch als positive Folge der Schengen-Öffnung
gelten kann.
Auch Finanzämter kooperieren
Eine andere besteht in der Zusammenarbeit der
Finanzämter. Diese Woche hat in Bratislava
(Pressburg) das erste informelle Treffen der
Behördenchefs Polens, der Slowakei, Sloweniens,
Tschechiens und Ungarns stattgefunden. Der Befund:
Die bisherige enge Kooperation könne weiter
verstärkt werden. Was wohl nicht überall
auf reine Freude stößt.