9. September 2008, 17:59, NZZ Online
Die vom Kanton Zürich ausgezeichnete Komponistin Iris Szeghy
Ende 2007 ist die in Zürich lebende Komponistin
Iris Szeghy mit dem Kompositionsauftrag des
Kantons Zürich ausgezeichnet worden. Ein
Gespräch über das Komponieren zwischen
den Kulturen.
Iris Szeghy entstammt einer Familie des ungarischen
Bevölkerungsanteils in der Ostslowakei.
Seit sechs Jahren lebt sie in der Schweiz, in
Zürich. Der Kompositionsauftrag des Kantons
Zürich ist eine bemerkenswerte Anerkennung
ihres Schaffens und zeigt, dass es ihr in diesen
sechs Jahren erstaunlich gut gelungen ist, in
unserem Land Wurzeln zu schlagen. Da gäbe
es andere Beispiele. Szeghys Musik lässt
sich nicht leicht fassen. Beim Hören hat
man den Eindruck, sie sei in einem langen Prozess
der Läuterung, der geistigen Reinigung,
des Weglassens entstanden. Sie hat einerseits
etwas Lapidares und Lakonisches: Mit wenigen
konzentrierten Klangereignissen wird gleichsam
ein Maximum an poetischem Ausdruck erreicht.
Aber da sind auch heftige Gegensätze wahrzunehmen,
Dramatik, Emotionalität. Sie habe immer
versucht, sich «dazwischen» zu bewegen,
berichtet die 1956 geborene Iris Szeghy im Gespräch.
«Ich wollte absichtlich nie zu einer kompositorischen
Schule gehören. Mein Geist wollte eigene
Wege suchen, für alles offen sein und sozusagen
als Synthese etwas Eigenes schaffen. Das ist
schwierig, denn dann passt keine Schublade für
dich.»
«Zwischen den Kulturen»
Szeghy beschreibt ihre Musik als ein «Weder
- noch, und gleichzeitig beides», ganz
entsprechend ihrer Herkunft. Sie könne
weder sagen, dass sie eine slowakische, noch
eine ungarische oder schweizerische Komponistin
sei. «Ich bin von allem etwas. Im Osten
wirke ich wie vom Westen, im Westen wie vom
Osten. Ich stehe zwischen den Kulturen.»
Am Anfang ihres Komponierens stand ein Schlüsselerlebnis.
Mit siebzehn war sie plötzlich mit dem
Tod ihrer Grossmutter konfrontiert, zu der sie
ein enges Verhältnis hatte. Sie suchte
nach Wegen der Verarbeitung ihrer Empfindungen,
und schliesslich vertonte sie ein Gedicht eines
slowakischen Dichters über den Tod. Da
habe sie sofort gespürt: «Das ist
mein Weg, den muss ich gehen.» Sie studierte
damals bereits am Konservatorium von Kosice
Klavier, zeigte ihr Lied ihrem Theorielehrer,
der selber Komponist war. Er erkannte darin
Talent, einen eigenen Ton und begann, sie erst
privat, später in seiner kleinen Kompositionsklasse
zu unterrichten. Drei Jahre lang habe sie nur
an ihrer handwerklichen Basis gearbeitet und
Stilkopien komponiert von Bach, Mozart bis zu
Schönberg.
Es schloss sich ein fünfjähriges Kompositionsstudium
an der Musikhochschule in Bratislava an, und
sie wurde die erste professionelle Komponistin
in der Slowakei. Das sei Pionierarbeit gewesen,
berichtet Iris Szeghy, denn im Land hätten
damals nur Vorurteile gegenüber weiblichen
Komponisten geherrscht. «Das Misstrauen
war enorm. Ich wurde schliesslich akzeptiert,
aber es dauerte dreimal so lange wie bei meinen
männlichen Kollegen, bis ich meine Umgebung
davon überzeugt hatte, dass ich eine ernstzunehmende
Komponistin bin.» Partituren mussten im
kommunistischen Kultursystem einer Kommission
von Komponisten vorgelegt werden: «Ein
Werk, das von ihnen abgelehnt wurde, durfte
nicht aufgeführt werden.» Sie kämpfte,
erhielt ein Zweijahres-Stipendium und machte
an der Musikhochschule ihr Doktorat, ein Violoncellokonzert.
Wanderjahre
Mit der Wende 1989 öffnete sich die Grenze,
und es begannen Szeghys Wanderjahre. Sie bewarb
sich um Stipendienaufenthalte, war auf Schloss
Solitude in Stuttgart, in Worpswede, war Visiting
Composer an der University of California in
San Diego, hatte eine Residenz an der Hamburger
Staatsoper und an vielen andern Orten mehr.
Schliesslich wurde sie 2001 nach Boswil eingeladen,
verbunden mit einem Auftrag von Pro Helvetia.
«Davon sind in meinem Leben Spuren für
immer geblieben», sagt sie, denn dort
hat sie ihren Schweizer Mann kennengelernt.
Mit Energie baut sie seither auch eine Karriere
in der Schweiz auf, gekrönt jetzt vom Auftrag
des Kantons Zürich. Die Auszeichnung ermöglicht
es ihr, ein grösseres Orchesterwerk zu
schreiben. Im nächsten Jahr werden ihr
Début am Lucerne Festival und eine Porträt-CD
bei MGB/Grammont folgen.
Am Anfang von Szeghys Komponieren stand der
Tod. Existenzielle Fragen, mitunter auch Auseinandersetzungen
mit Literatur oder bildender Kunst geben oft
den Anfangsimpuls für ein neues Werk. Das
Ausdrucksbedürfnis ist für sie essenziell:
«Musik ist eine Brücke zwischen mir
und den Menschen, die daran interessiert sind,
über diese Brücke zu gehen.»
Am Anfang stehe eine Idee, die langsam reife,
bis die Komponistin ein Werk in ihrem Kopf entworfen
habe. Erst dann werden die ersten Noten zu Papier
gebracht. «Aber was in den Noten entsteht,
hat sein eigenes Leben und versucht irgendwie,
mit mir als Autorin zu kooperieren. Es ist ähnlich
wie bei einem Kind, es sucht auch schon eigene
Wege.» Wenn dieses Kind anderswohin möchte,
müsse sie ein Stück von Grund auf
wieder umbauen. «Es dauert manchmal lange,
bis wir zusammen das Optimale für uns beide
gefunden haben.» Doch das mache sie reich.
Ein Prozess der geistigen Klärung also
tatsächlich.
Alfred Zimmerlin