Die neue Normalität
Es war ein heikler Zwischenfall in der slowakisch-ungarische Grenzstadt Komarno im August des Jahres 2009. Zu einem Feiertag legen die Slowaken Kränze nieder, eine Zeremonie mit Fanfarenschall. Und ein diplomatischer Eklat: Eigentlich wollte an diesem Tag auch der damalige ungarische Präsident Laszlo Solyom kommen und die Büste eines ungarischen Königs enthüllen – als Privatperson, wie es in Budapest hiess. Die Regierung in Bratislava schäumte, und Regierungschef Robert Fico wies das Staatsoberhaupt barsch zurück:
"Heute ist Laszlo Solyom nicht willkommen. Wenn er trotzdem kommt, können wir keine Verantwortung übernehmen für das, was in der Slowakei passiert. Von seiner Seite aus geht es um nichts anderes als eine Provokation. Wir begrüssen ihn jederzeit gern zu einem offiziellen Besuch, aber er muss sich verhalten wie jemand, der einen souveränen Staat besucht und nicht wie jemand, der einfach in einen anderen Bezirk der ungarischen Republik reist."
2009 – das war die Zeit, als das Verhältnis der beiden mitteleuropäischen Nachbarn auf ihrem Tiefpunkt angekommen war: gegenseitige Anfeindungen, fremdenfeindliche Ausschreitungen und eine Politik der eiskalten Worte. In der Provinzstadt Komarno lag damals das Epizentrum der Feindseligkeiten – die Stadt ist von der Donau getrennt, auf der einen Seite liegt sie auf slowakischem, auf der anderen Seite auf ungarischem Staatsgebiet.
Ein gutes Zeichen für die Integration
Das slowakische Komarno ist die Hochburg der ungarischen Minderheit – und heute eine Stadt, die ihre Ruhe wiedergefunden hat. Die einst aufgeheizte Atmosphäre hat sich spürbar normalisiert; so wie hier am ungarischsprachigen Gymnasium. Zsuzsanna Kralik ist eine der Lehrerinnen.
"Uns direkt gegenüber ist ein slowakisches Gymnasium, und wir haben gute Beziehungen. Wir teilen sogar den Pausenhof und die Turnhalle. Zu uns kommen Kinder aus der ungarischen Minderheit, aber weil die Landessprache hier slowakisch ist, lehren wir sie natürlich. Manchmal wird uns vorgeworfen, dass die Kinder nicht gut genug slowakisch sprechen; aber wir unterrichten es eben als Fremdsprache, so wie Spanisch oder Englisch."
Der Kontakt über die Grenze, erzählt Zsuzsanna Kralik, sei problemlos – ohne Grenzkontrollen über die Brücke zu spazieren nach Ungarn oder eben in die andere Richtung in die Slowakei, das gehöre in der Region längst zum Alltag. Bislang ist das zumindest so; Premierminister Robert Fico hat diese Woche angekündigt, dass sein Land im Kampf gegen den Terrorismus nötigenfalls, so wörtlich, "Zäune und Hindernisse" aufbauen werde, um die Sicherheit der Slowaken zu gewährleisten. Von konkreten Plänen ist allerdings noch nicht die Rede. Und die ungarische Minderheit ist auch nicht unmittelbar betroffen; Lehrerin Zsuzsana Kralik erzählt, dass die meisten ihrer Abiturienten zum Studium in der Slowakei blieben und eben nicht nach Budapest gingen – ein gutes Zeichen sei das für die Integration.
Die klappt auch gut 130 Kilometer von Komarno entfernt an der österreichischen Grenze – unter umgekehrten Vorzeichen. Die junge slowakische Mutter Zuzana Ondrisova sitzt in einem Wirtshaus in Wolfsthal, einer der ersten österreichischen Gemeinden hinter der Grenze. Sie arbeitet in Bratislava, eine erfolgreiche Marketing-Managerin. Vor einigen Jahren ist sie mit ihrer Familie über die Grenze gezogen.
Beide Seiten profitieren von der Nachbarschaft
"Für die Kinder ist die Umgebung einfach super. Wenn wir uns zu Hause unterhalten, bauen sie deutsche Wörter in ihrer Sätze ein und wissen gar nicht mehr, wie man manches auf Slowakisch sagt."
Das Verhältnis der Slowaken zu den Österreichern hat sich grundlegend gewandelt: Im Sozialismus war das westliche Land noch der unerreichbare Nachbar – heute sind die Grenzregionen beinahe verwachsen. Das Interessante daran: An die eher strukturschwachen österreichischen Dörfer grenzt unmittelbar die slowakische Hauptstadt Bratislava an, die seit Jahren einen Boom erlebt. Und so zieht die gut verdienende slowakische Mittelschicht in die aussterbenden österreichischen Dörfer – mit dem Auto sind es von dort aus zehn Minuten ins Zentrum von Bratislava.
"Wir haben schon einen Baustopp bei uns in Wolfsthal. Weitere Gemeindegrundstücke werden in den nächsten Jahren nicht mehr verkauft; zuziehen kann man nur noch, wenn jemand ein älteres Haus verkauft. Von 1.000 Einwohnern sind heute 300 Slowaken. Die meisten von ihnen sind junge Familien."
Zuzana Ondrisova ist ein Paradebeispiel dafür, wie das Zusammenleben funktioniert: Sie ist gerade als erste Slowakin in den Stadtrat von Wolfsthal gewählt worden. In die Dorfschulen gehen inzwischen zur Hälfte slowakische Kinder – sie haben in der vormals aussterbenden Region in mehreren Orten die Schulen gerettet, die von der Schliessung bedroht waren. Die Nachbarschaft der beiden vormals ungleichen Länder – von ihr profitieren längst schon beide Seiten.