nzz.ch, 20. August 2015, von Meret Baumann, Gabcikovo
Österreich bringt 500 Flüchtlinge vorübergehend in Gabcikovo unter. Der Widerstand dort ist enorm, in einem Referendum lehnten 97 Prozent das Vorhaben ab. Der Volkswille dürfte folgenlos bleiben.
«Natürlich bin ich dagegen, wir sind alle dagegen», sagt Alzbeta. Zusammen mit ihrer Kollegin Maria richtet die Mittvierzigerin auf der Terrasse des Cafés Stefano im Zentrum der slowakischen Kleinstadt Gabcikovo die Tische für die abendlichen Gäste her. Das Thema, das hier derzeit alle umtreibt, bringt die beiden Frauen in Rage. «Warum hier? Warum sollen gerade wir den Österreichern bei der Unterbringung von Flüchtlingen helfen?», fragt Maria empört. «Wir sind ein armes Land, viele leben vom Mindestlohn von 270 Euro. Wir sind nicht reich wie die Österreicher», pflichtet Alzbeta bei. Eigentlich müsste das Ergebnis des Referendums die Pläne verhindern, finden die beiden.
Der leerstehende Campus in Gabcikovo wird für die Ankunft der Flüchtlinge aus Österreich vorbereitet. (Bild: Helmut Fohringer / APA / Keystone)
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Machtloser Bürgermeister
Tatsächlich lässt dessen Resultat keinen Zweifel daran, dass Asylsuchende in Gabcikovo unerwünscht sind. 97 Prozent der Stimmenden haben sich am 2. August gegen die Unterbringung von 500 Flüchtlingen aus dem überfüllten österreichischen Lager Traiskirchen ausgesprochen, entgegen der entsprechenden Vereinbarung von Österreich und der Slowakei im Juli. Dennoch wird es vermutlich keine Folgen haben. Aus dem slowakischen Innenministerium heisst es, man sei nicht an das Resultat der Abstimmung gebunden. Ähnlich klingt es in Wien. Der Vertrag sei zwischen den beiden Ländern abgeschlossen worden, nicht mit der Gemeinde.
Der Bürgermeister von Gabcikovo, Ivan Fenes, ist sich dessen bewusst. Aber man habe ein Zeichen setzen wollen, sagt er im Gespräch. «Es war unsere moralische Pflicht, etwas zu tun.» Er habe dem Migrationsamt, dem Innenministerium und der Technischen Universität Bratislava, auf deren leerstehendem Campus die Asylsuchenden unterkommen sollen, geschrieben mit der Bitte, angesichts des Ergebnisses auf den Entscheid zurückzukommen. Aber er wisse, dass die Würfel gefallen seien, sagt Fenes. Noch im August sollen die ersten Flüchtlinge in Gabcikovo eintreffen. Einen weiteren Dialog mit der Bevölkerung werde es nicht geben, heisst es aus dem Innenministerium, obwohl man Verständnis für deren Votum habe. Dieses spiegle Befürchtungen wider, welche «die ganze Slowakei teilt».
Doch was sind diese Befürchtungen? Im Jahr 2014 ersuchten in der Slowakei nur 330 Personen um Asyl. Die Zahl ging entgegen dem europäischen Trend sogar zurück und entspricht
0,01 Prozent der Einwohner (im EU-Schnitt sind es 0,12 Prozent, in der Schweiz 0,29 Prozent der Einwohner). Dennoch folgten Ende Juni über 5000 Personen dem Aufruf mehrerer rechtsextremer Gruppen und demonstrierten in Bratislava gegen Zuwanderung und die angebliche Islamisierung Europas.
Konkreter Anlass war der EU-Vorschlag, auf der Basis von Quoten in Italien und Griechenland gestrandete Migranten umzusiedeln. Demnach hätte die Slowakei knapp 800 Asylsuchende aufnehmen sollen,
sie sagte dann die Übernahme von 100 Personen zu. Einen obligatorischen Verteilschlüssel lehnte die sozialdemokratische Regierung von Ministerpräsident Robert Fico wie fast alle politischen Kräfte im Land strikt ab. Die Argumente sind dabei exakt die gleichen, die auch die sozialliberale Koalition in Tschechien, die konservative Regierung Ungarns oder die bürgerlich-liberale Polens ins Feld führen: Die Probleme des Flüchtlingszustroms seien in den Krisenregionen zu lösen, armutsbedingte Migration sei zu unterbinden, und Asylsuchende wollten ohnehin nicht in Osteuropa bleiben. Alle Länder dieser sogenannten Visegrad-Gruppe haben ihre volle Eigenstaatlichkeit erst vor 25 Jahren wiedererlangt und sind Zuwanderung nicht gewohnt. In den eher homogenen Gesellschaften schlägt ethnischen, religiösen oder auch sexuellen Minderheiten Misstrauen entgegen. Flüchtlinge werden auch von Regierungspolitikern mit Kriminalität, Unruhen oder gar Terroranschlägen in Verbindung gebracht.
Gefallen für die «Schwager»
So geschürte Ängste hegen auch die Bewohner von Gabcikovo, die fast alle der ungarischen Minderheit angehören und deshalb auch von der gehässigen Debatte über Asylpolitik im südlichen Nachbarland beeinflusst sind. Alzbeta und Maria befürchten etwa Krankheiten und Straftaten, zumal es sich vorwiegend um junge Männer handeln werde. Alzbeta wundert sich auch, dass man die Asylbewerber ausgerechnet in einer gut 5000 Einwohner zählenden Gemeinde im Gebiet der ungarischen Minderheit unterbringe. «Warum nicht in den leerstehenden Kasernen im ganzen Land? Oder in Bratislava?», fragt sie. Die Regierung argumentiert, ab 1992 seien immer wieder Flüchtlinge auf dem Campus untergebracht gewesen. Das seien aber Serben gewesen, anständige Leute, sagt Maria. Für die jetzt seien die Berge besser geeignet. «Es sind doch Taliban, die gehören in die Berge.»
Ivan Fenes glaubt, man habe Gabcikovo sehr bewusst gewählt. Die Regierungspartei Smer habe hier im magyarischen Gebiet kaum Wähler, die sie verlieren könnte. Er ist erschöpft, seit über einem Monat treibt ihn das Thema nun um. Anfang Juli hatte er über Facebook erstmals von den Plänen Bratislavas erfahren. Das Ministerium sprach kaum mit dem Bürgermeister, alles habe er den Medien entnehmen müssen. Warum die Regierung sich in Brüssel hart gibt, gegenüber Wien aber grosszügig ist, weiss er nicht. «Eine Aktion für die Galerie», vermutet er. «Um zu zeigen, wie sehr wir die ‹Schwager› (umgangssprachliche, aus der Monarchie stammende ungarische Bezeichnung für Österreicher, Anm. d. Red.) mögen.»
Die ganze Welt in Gabcikovo
Die mehrgeschossigen Gebäude des Campus wurden in den achtziger Jahren vor allem für am Bau des nahen Donaukraftwerks beteiligte Arbeiter errichtet. Sie wirken heruntergekommen und passen nicht recht in die schmucke Kleinstadt mit den bunt bepflanzten Blumenbeeten entlang den Strassen. Gleich gegenüber liegt das kleine Geschäft von Zoltan, in dem sich in den Regalen Teigwaren, Fertiggerichte, Katzenfutter und Hygieneprodukte bis zur Decke stapeln. Früher hätten auf dem Campus schon Asylsuchende gelebt, erzählt Zoltan. Sie hätten ihm Geldscheine geschenkt, weil er die sammle. Er blättert eine beeindruckende Auswahl auf die Theke, Noten aus Vietnam, Bangladesh, Pakistan, Sri Lanka. «So habe ich die ganze Welt kennengelernt», sagt er und lacht. Er habe mit ihnen Fussball gespielt, es habe nie Probleme gegeben. Für seinen Laden sei neue Kundschaft ohnehin gut. Und trotzdem hat auch er gegen die Aufnahme der Flüchtlinge gestimmt. Dem Westen sei nicht zu trauen, begründet Zoltan seinen Entscheid, und den Österreichern erst recht nicht.