Helaba: Die slowakische Wirtschaft floriert. Bereits im siebten Jahr in Folge verzeichnete der einzige Visegrad-Staat, der zum Euroraum gehört, ein nennenswertes Wirtschaftswachstum. Zwar legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2016 um einen halben Prozentpunkt weniger als im Vorjahr zu, das Wachstum befindet sich mit 3,3 % jedoch deutlich über dem europäischen Durchschnitt.
Gründe hierfür sind divers
Die boomende Investitionstätigkeit der letzten Jahre hat eine Vielzahl an Arbeitsplätzen geschaffen, was die Arbeitslosigkeit das erste Mal seit der Euro-Einführung 2009 auf unter 10 % senkte. Aufgrund der gestiegenen real verfügbaren Einkommen nahmen sowohl der private Konsum als auch die Importe deutlich zu.
Der private Konsum dürfte 2017 trotz erstmals wieder moderat steigender Verbraucherpreise von jahresdurchschnittlich 1,4 % ähnlich stark expandieren wie im Vorjahr. Hauptsächlich wird das Wachstum jedoch nach wie vor von den starken Exporten getragen.
Darüber hinaus ist die Slowakei mit einem Haushaltsdefizit von deutlich unter 2 % und einer Staatsverschuldung von gut 50 % des BIP eines der wenigen europäischen Länder, die die Maastricht-Regeln einhalten. Und auch die Europa 2020 Leitindikatoren, die z.B. eine Beschäftigungsquote von 72 % anvisieren, können bei der derzeitigen konjunkturellen Situation voraussichtlich erreicht werden.
Fachkräftemangel und Brexit als Wachstumsbremsen
Dennoch ist nicht alles Gold was glänzt: Der Tatra-Tiger leidet unter einer großen Abhängigkeit von der Kfz-Branche. Externe Schocks, wie der Brexit, und vor allem der Fachkräftemangel haben dem Wachstumsmotor der slowakischen Wirtschaft bereits zugesetzt und werden diesen auch in Zukunft abbremsen.
Während die Regierungskoalition um den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Robert Fico weiterhin auf ihrer rigiden Einwanderungspolitik beharrt, fordern Manager internationaler Unternehmen zunehmend die Öffnung der Grenzen für qualifizierte Zuwanderer aus Nicht-EU-Ländern.
Strukturelle Ost-West-Unterschiede
Eine weitere Schwäche der Slowakei liegt in der unterschiedlichen Wirtschaftskraft der jeweiligen Landesteile. Im Westen, allen voran in der Region um die Hauptstadt Bratislava, erwirtschaftet die Bevölkerung im Durchschnitt das höchste Pro-Kopf-BIP, das hier mehr als dreimal so hoch ist wie im Rest des Landes.
Das wurde auch bei den Nationalratswahlen 2016 deutlich: Nationalistische Parteien, die für Protektionismus und gegen Einwanderung stehen, erstarkten besonders im struk- turschwachen Norden und Osten des Landes.
Sollte es der Regierung bis zu den nächsten Wah- len 2020 nicht gelingen, auch die von der Globalisierung abgehängten Regionen und Bevölkerungsgruppen in den Höhenflug der slowakischen Wirtschaft einzubinden, werden die Wähler dies erneut abstrafen. Ein prägnanter Rechtsruck und die Machtübernahme von nationalistischen Parteien sind dann nicht ausgeschlossen.
Letzten Endes bieten diese Probleme jedoch auch Chancen: Während der Fachkräftemangel er- höhte Investitionen in Automatisierungstechniken und Digitalisierung erfordert, sind für die Regierung alle Voraussetzungen gegeben, stärker in Bildung und Soziales zu investieren. Beides wird die Wirtschaft begünstigen, die ihr hohes Tempo 2018 sogar noch etwas beschleunigen könnte.
Autor: Tobias Fromme