Neue Zürcher Zeitung, 14. April 2009
Die Slowakei und der Euro – ein glückliches Paar
Zukunftsvertrauen in Bratislava trotz angenagter Konkurrenzfähigkeit
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Die Eingliederung in die Euro-Zone hat der Slowakei die Möglichkeit genommen, ihre Exportwirtschaft durch eine Abwertung der Währung zu stützen. Dennoch ist man in Bratislava des Lobes voll über den Schritt. Die Stabilität, die er gebracht habe, wiege mögliche Probleme des Aussenhandels mehr als auf. Die Bevölkerung schätzt die neue Kaufkraft.
Von unserem Korrespondenten Rudolf Hermann
Bratislava, im April
Keine Sekunde muss Peter Kazimir, Staatssekretär (Vizeminister) im slowakischen Finanzministerium, nachdenken, um folgende Frage zu beantworten: ob er das Angebot einer guten Fee annehmen würde, nachträglich den Konversionskurs der slowakischen Krone zum Euro noch einmal anpassen zu können. Grund dazu gäbe es nämlich: Als die Slowakei den Konversionskurs für den auf Anfang 2009 erfolgten Beitritt zur Euro-Zone festsetzte, befand sie sich in einer langen Phase des Aussenwert-Zuwachses der Landeswährung. Doch kaum war sie im Klub dabei, schlug die globale Finanzkrise voll durch und liess die Währungen umliegender Länder wie Tschechien, Polen oder Ungarn absacken. Damit gewannen diese einen Vorteil für ihren Aussenhandel, weil ihre Exportprodukte fast schlagartig billiger wurden, während die Slowakei nun fest ins Euro-Gefüge eingebunden war und nicht mehr reagieren konnte. Ausserdem steigerte sich bei den Nachbarn die Konkurrenzfähigkeit im Wettbewerb als Investitionsstandort, weil die Kosten der Arbeitskraft zurückgingen.
Teurer gewordene Arbeitskraft
Doch Kazimir erklärt mit einem freundlichen, aber sehr bestimmten Lächeln, dass er der Verlockung der Fee in keinem Fall folgen würde. Zwar sei es richtig, dass der «teure» Euro einige Nachteile bringe, etwa für den Tourismus oder durch den Ausfall von Steuereinnahmen als Folge verminderter Exporte. Doch erstens betrachte man die gegenwärtige Situation als vorübergehend und verkraftbar. Und was den Aussenhandel angehe, sei die Situation zudem im Moment sehr untypisch, indem die Rolle des Preises weniger definierend sei als unter normalen Umständen. Wenn die ausländischen Abnehmer nämlich ohnehin nicht kauften, spiele es nicht so eine Rolle, ob das, was sie nicht kauften, etwas billiger oder etwas teurer sei. Zweitens habe die Euro-Einführung auf der anderen Seite aber gewaltige Vorteile gebracht, namentlich punkto Stabilität, internationaler Absicherung und Vereinfachung des Zahlungsverkehrs. Deshalb komme man sich eher so vor, als habe man es bei einem zur Abfahrt bereitstehenden Schnellzug gerade noch geschafft, auf den letzten Wagen aufzuspringen.
Ganz so entspannt wie Kazimir sieht das slowakische Wirtschaftsblatt «Hospodarske Noviny» die Situation indes nicht. Die Slowakei sei dabei, das Image eines «europäischen Tigers» etwas zu verlieren, merkte die Zeitung an. Zwar sei die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft immer noch gut, doch um sie zu erhalten, seien Anpassungen nötig. Das Blatt wies beispielsweise darauf hin, dass laut einer Studie der slowakischen Nationalbank bei den Lohnkosten pro Stunde die Slowakei im Vergleich der vier sogenannten Visegrad-Staaten (Slowakei, Ungarn, Tschechien, Polen) mit € 7,1 zwar noch hinter Tschechien (8 €), aber vor Polen und Ungarn (€ 6,5 bzw. € 6,2) liege. Dabei sei gegenüber 2008 der Abstand zu Tschechien geschrumpft, und mit Polen habe man den Platz getauscht.
Ferner gehe aus der Studie hervor, dass die Slowakei nach mehreren Jahren, während deren sie als Reform-Zugpferd der Region angesehen worden sei, mittlerweile in eine gewisse Stagnation gerutscht sei, was die Steigerung der Attraktivität des unternehmerischen Umfelds anbelange. Eine Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit als Investitionsstandort könne beispielsweise durch eine radikale Senkung der Lohnnebenkosten für Unternehmer erreicht werden.
Per saldo unbestritten positiv ist die Euro-Einführung in der Slowakei auch für den Ökonomen und Generalsekretär des slowakischen Industrieverbandes Stefan Lednar. Erstens habe die Slowakei noch ein gewisses Polster durch die Aufwärtsentwicklung der Wirtschaft im ersten Zeitraum nach der Festsetzung des Konversionskurses. Und zweitens sei die ökonomische und politische Stabilität durch den Eintritt in die Euro-Zone wertvoller als die Möglichkeit, am Wechselkurs zu schrauben. Wenn die Krise derzeit auf die Löhne drücke, sollten die Arbeitnehmer nicht auch noch einem währungsbedingten Kaufkraftverlust ausgesetzt sein.
Die Slowakei muss laut Lednar andere Wege finden, um ihre Attraktivität im internationalen wirtschaftlichen Wettbewerb zu sichern. Es gelte nun, die Weichen zu stellen, damit das Land in guter Position sei, wenn nach dem Durchschreiten der Talsohle die ökonomische Aktivität wieder anziehe. Dazu gehören für ihn ein Bildungswesen, das punkto Ausbildungsqualität und Breite die dannzumal benötigten Facharbeiter zur Verfügung stellen kann, und als weiteres Element Investitionen in Forschung und Entwicklung. Lednars Credo lautet, dass Mehrwert erzeugende Arbeitsplätze dorthin gingen, wo es eine qualifizierte Arbeitskraft gebe. Gewinne ein Land hingegen Arbeitsplätze vor allem mit dem Argument des Preises der Arbeitskraft, laufe es weit mehr Gefahr, diese wieder zu verlieren, wenn ein günstigerer Konkurrent auftauche.
Damit spielt Lednar auch auf die Automobilindustrie an, die in den Jahren vor dem Ausbruch der globalen Krise zu den wichtigsten Wachstumsmotoren der Slowakei gehört hatte, jetzt aber zum Klumpenrisiko geworden ist. Lednar hat nichts dagegen einzuwenden, dass die Slowakei die Möglichkeit dieser grossen Investitionen gepackt habe – auf ein Pferd habe man zur Ankurbelung der Wirtschaft schliesslich setzen müssen. Und auch die Rolle der «verlängerten Werkbank» ausländischer Automobilkonzerne (in der Slowakei bauen Volkswagen, Peugeot und Kia) missfällt ihm nicht grundsätzlich, da es damit auch zu Wissenstransfer komme. Um die schwierigen Zeiten zu überstehen und von der Erholung, wenn sie dann einsetze, richtig profitieren zu können, seien Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Staat gleichermassen gefordert.
Als Schritt in die richtige Richtung bezeichnet Lednar die namentlich auf Grossunternehmen zugeschnittene Möglichkeit des sogenannten Flexi-Arbeitskontos, die inzwischen im Arbeitsrecht verankert werden konnte. Das Flexikonto ermöglicht dem Arbeitnehmer, auch bei rückläufiger Produktion voll angestellt und bezahlt zu bleiben. Das Unternehmen bezahlt Arbeitsleistung quasi im Voraus und kann diese dann in Form unbezahlter Überstunden einfordern, wenn die Produktion wieder angekurbelt wird. Gleichzeitig erhält es sich qualifizierte Arbeitskräfte. Der Staat greift dem Unternehmen allenfalls mit Beiträgen an die Lohnnebenkosten unter die Arme. Wie Lednar erklärt, hat etwa Volkswagen Slovakia Interesse an Flexikonti gezeigt.
Einkaufs-Könige mit Euro in der Tasche
Für eine breitere Bevölkerung hat der Eintritt der Slowakei in die Euro-Zone, Krise hin oder her, eine interessante neue Erfahrung gebracht. War man es früher lange Zeit gewohnt, aus einem Nachzügler-Land der Transformation zu stammen, auf das die Nachbarn etwas hochnäsig herabblickten, so sind die Slowaken mit ihrem harten Euro nun plötzlich kleine Könige auf ausländischen Marktplätzen und in Kaufhäusern. Shopping jenseits der Grenze ist so günstig geworden, dass geht, wer kann. Und gekauft wird, was das Portemonnaie hergibt – von Lebensmitteln über Kühlschränke und Stereoanlagen bis hin zu Autos und sogar Häusern. In den grenznahen ungarischen Städtchen, die von Bratislava aus in kurzer Autofahrt zu erreichen sind, sind die Parkplätze vor den Einkaufszentren voller slowakischer Kennzeichen. Manch ein ungarischer Händler, so berichten Einkaufstouristen, bemühe sich bereits, seine Ware schriftlich und mündlich auf Slowakisch anzupreisen.