diePresse.com, 2. September 2008
Slowakei: Karpaten-Tiger vor „gesundem“ Abschwung
Von CHRISTOPH THANEI (Die Presse)
Ein Vergleich mit Aufstieg und Fall des Baltikums drängt sich
auf. Doch er hinkt.
Bratislava - Bereits
2007 hat die Slowakei die baltischen Länder als am schnellsten wachsende
Volkswirtschaft der EU abgelöst. Doch während im Baltikum inzwischen
der Wachstumsmotor stottert, zeigt sich die slowakische Wirtschaft weiterhin
in bester Verfassung. Dass sich die weit über dem EU-Durchschnitt liegenden
Wachstumsraten allmählich auf ein tieferes Niveau einpendeln, entspricht
den von Nationalbank und Finanzexperten der Banken seit Monaten verkündeten
Erwartungen einer notwendigen Verlangsamung des Wachstums.
Auch mit dieser offensichtlichen Berechenbarkeit des „gesunden“
Abschwungs unterscheidet sich die Slowakei derzeit von der ehemaligen Schwesterrepublik
Tschechien und anderen Reformländern, in denen die Wachstumsverlangsamung
der letzten Monate abrupter erfolgte als erwartet. So sehen die heimischen
Ökonomen für die slowakische Wirtschaft kein nennenswertes Risiko
von Überhitzung. Auch ein Überschwappen der internationalen Hypotheken-
und Immobilienkrise befürchten sie vorerst nicht.
„Gesundes“ Kreditwachstum
So weist beispielsweise Michal Musák von der grössten Bank
der Slowakei, der Erste-Bank-Tochter Slovenská Sporitel'na (Slowakische
Sparkasse) auf einen markanten Unterschied zwischen der Slowakei und den
baltischen Ländern hin: Während sich in Estland und Lettland in
der Boom-Phase das private Kreditvolumen auf über 40 Prozent der Wirtschaftsleistung
vervielfachte, stieg es in der Slowakei nur gemächlich an und wuchs
sogar im Jahr des Rekordwachstums 2007 auf nicht viel mehr als zehn Prozent
des Bruttoinlandsproduktes. Der dritte baltische Tigerstaat Litauen verzeichnete
ein mässigeres Kreditwachstum als Estland sowie Lettland und spürt
jetzt auch den Abschwung weniger dramatisch. Allerdings liegen auch in Litauen
Kreditwachstum und Wachstumsabschwung noch weit über der Slowakei.
Wie Musák in seiner der „Presse“ vorliegenden Analyse
weiter ausführt, ist aber auch die Struktur des slowakischen Wachstums
anders als in den baltischen Ländern: Während letztere Konsum
und Investitionen zu einem beträchtlichen Teil durch Importe ermöglichten
und dadurch auch in ein enormes Handelsbilanzdefizit gerieten, ist das slowakische
Wachstum schon seit den 90er-Jahren hauptsächlich von Export getragen.
Der Inlandskonsum begann erst in den allerletzten Jahren ebenfalls kräftig
zu steigen, ist aber weiterhin nur zu einem geringen Teil kreditfinanziert.
So blieb auch das Handelsbilanzdefizit mit rund einem Prozent des BIP in
bescheidenem Rahmen. Als das Wachstum der Slowakei 2007 auf den Rekord von
10,4 Prozent stieg, stellte es alle Prognosen in den Schatten und sorgte
wegen seiner im Vergleich zum Baltikum solideren Basis dennoch nicht für
Überhitzungsängste. Für 2008 erwarten die meisten Experten
ein BIP-Wachstum von etwas mehr als sieben Prozent.
Das wäre noch immer ein europäischer Spitzenwert. Zum Vergleich:
In Estland stürzte die Wachstumsrate im Vergleich des jeweils ersten
Quartals von 2007 auf 2008 von zehn auf europaweit bereits unterdurchschnittliche
0,1 Prozent ab. In Lettland erfolgte ein ähnlicher Absturz im selben
Zeitraum von fast elf auf nur mehr knapp drei Prozent.
Keine Angst vor dem „Teuro“
In der Slowakei hingegen bereitet den Ökonomen sogar der erwartete
Anstieg der Inflation im Zuge der Euro-Einführung nur geringes Kopfzerbrechen,
weil sie ihn in weitgehendem Einklang mit dem Rest der Eurozone erwarten.
Sie lassen sich auch nicht durch das warnende Beispiel Sloweniens erschrecken,
wo die Inflation nach der Euro-Einführung 2007 auf den höchsten
Wert der Eurozone schnellte.
Insbesondere der slowakische Nationalbankgouverneur Ivan Sramko wies in
diesem Zusammenhang auf einen entscheidenden Unterschied zwischen der Slowakei
und Slowenien hin: Anders als in Slowenien gebe es in der Slowakei kaum
Wirtschaftsbereiche, die nicht vollkommen mit den „alten“ Euro-Ländern
verflochten seien. Daher bestehe so gut wie keine Möglichkeit einer
abgelösten Inflationsentwicklung. Ein grösseres Problem sehen
nicht nur heimische Analysten, sondern auch ausländische Investoren
im drückenden Mangel an qualifizierten Arbeitskräften.