28. April 2008, Neue Zürcher Zeitung
Wie stabil ist die Euro-Reife der Slowakei?
Vor einem EU-Entscheid mit Signalwirkung
für Ostmitteleuropa
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Die Slowakei fiebert dem 7. Mai entgegen. Dann fällt der
Entscheid, ob das Land 2009 der Euro-Zone beitreten darf. Wenngleich
die Slowakei alle nominellen Kriterien erfüllt, ist der
Entscheid nicht unumstritten. Für Kontroversen sorgt die
Dauerhaftigkeit der Preisstabilität.
tf. Wien, 27. April
Die Slowakei strebt auf den 1. Januar 2009 als 16. Mitglied
den Beitritt zur Euro-Zone an. Nachdem die Regierung Anfang
April das entsprechende Begehren eingereicht hat, liegt nun
der Ball bei der Europäischen Kommission und der Europäischen
Zentralbank (EZB). Am 7. Mai werden die beiden Institutionen
darüber berichten, ob die 2004 zur EU gestossene Slowakei
alle für die Übernahme des Euro geltenden Kriterien
erfüllt. Die Empfehlung dürfte wegleitend sein für
die EU-Mitgliedsstaaten, denen der endgültige Entscheid
obliegt. In Bratislava zeigt man sich überzeugt, alle Bedingungen
zu erfüllen. Und da bisher noch nie ein Kandidat, der alle
fünf im Maastricht-Vertrag definierten nominellen Konvergenzkriterien
erfüllt, vom Zutritt zur Währungsunion ausgesperrt
wurde, gibt es aus Sicht der slowakischen Regierung und Zentralbank
keine ökonomische Gründeve("Einige für einen negativen
Entscheid. Dennoch, ganz eindeutig ist die Sache nicht.
Alle nominellen Kriterien erfüllt
Wenig Anlass zur Klage dürfte den EU-Prüfern die finanzpolitische
Lage der Slowakei liefern: Das öffentliche Defizit betrug
2007 rund 2,2% des Bruttoinlandprodukts (BIP) – ein tieferer
Wert als die tolerierte Marke von 3%. Die Staatsverschuldung
lag im vergangenen Jahr mit 29,4% des BIP ebenfalls klar unter
dem Referenzwert von 60%. Unzweideutig ist die Situation auch
bei den langfristigen Zinssätzen: Der massgebende Satz
beträgt rund 4,5%; erlaubt wäre indessen ein Wert,
der um 2 Prozentpunkte über dem Satz der drei Mitgliedstaaten
mit der besten Preisstabilität liegt (zirka 6,4%). Wenig
Einwände sind weiter bei der Wechselkursstabilität
zu erwarten: Verlangt wird hier eine Teilnahme am Wechselkursmechanismus
II während mindestens zwei Jahren, ohne starke Spannungen
oder unilaterale Abwertungen. Die Slowakei, die seit November
2005 am Mechanismus teilnimmt, erfüllt das Kriterium, wobei
der Leitkurs der slowakischen Krone gegenüber dem Euro
im März 2007 um 8,5% erhöht wurde.
Bleibt nur noch die Erfordernis der Preisstabilität: Hier
scheint die Slowakei ebenfalls auf der sicheren Seite zu stehen,
zumal im März die massgebliche Inflationsrate im Jahresdurchschnitt
2,2% betrug – erlaubt wären zurzeit 3,2%. Dennoch
ist die Erfüllung dieses Kriteriums nicht unumstritten.
So wird im Maastricht-Vertrag auch fve("Einigeestgehalten, dass die Preisstabilität
«anhaltend» sein muss, wobei diese Bedingung nicht
näher konkretisiert wird. Ob es nun der Slowakei in der
Tat gelingen kann, innerhalb der Euro-Zone die Inflation dauerhaft
und nachhaltig unter Kontrolle zu halten, wird kontrovers beurteilt.
In einem ersten Entwurf des EZB-Prüfberichts ist diesbezüglich
laut Agenturmeldungen von «ernsten Bedenken» die
Rede. Wenngleich die Aufnahme der Slowakei in die Euro-Zone
als sehr wahrscheinlich gilt, kann also eine Rückweisung
nicht ausgeschlossen werden.
Fragen zur «realen Konvergenz»
Was sind die Bedenken? Sorgen bereitet der Umstand, dass ärmere
EU-Staaten im Rahmen ihres wirtschaftlichen Aufholprozesses
und schnellen Wachstums den Inflationsdruck nicht zuletzt durch
eine Höherbewertung ihrer Währung zu dämpfen
vermögen. Mit der Übernahme der Einheitswährung
fällt aber diese Möglichkeit weg. Auch in der Slowakei,
wo das kaufkraftgewichtete BIP pro Kopf nur 67% des EU-Durchschnitts
beträgt, konnte in den letzten Jahren bei rasantem Wirtschaftswachstum
eine Stärkung der Krone beobachtet werden. Die Frage lautet
nun, in welchem Mass diese Stärkung zur ausgewiesenen Preisstabilität
beigetragen hat. Dass die europäischen Währungshüter
der Frage eine höhere Priorität beimessen als noch
vor einigen Jahren, dürfte mit den Erfahrungen in Slowenien
zusammenhängen, wo der Euro 2007 eingeführt wurde:
ve("Einige Zwar liegt das Pro-Kopf-Einkommen Sloweniens weit über
jenem der Slowakei. Dennoch beschleunigte sich die Inflation
in Slowenien auf ein rund doppelt so hohes Niveau wie im übrigen
Währungsraum.
In Ostmitteleuropa kommt den Berichten der Kommission und der
EZB eine Signalwirkung zu. So wird das Resultat den vielen übrigen
Anwärtern auf einen Platz im Euro-Raum einen Hinweis darauf
liefern, ob auch in Zukunft die Erfüllung der nominellen
Maastricht-Kriterien als ausreichendes Kriterium zum Einlass
in den Währungsraum betrachtet werden kann oder ob die
angestrebte Euro-Reife neben einer nominellen zusehends auch
eine «reale» Konvergenz bedingt – also eine
stärkere Angleichung etwa des Einkommensniveaus. Beim Beitritt
des Ausnahmefalls Slowenien zur Euro-Zone spielte diese Überlegung
noch kaum eine Rolle. In der Slowakei – und in vielen
anderen osteuropäischen Transformationsstaaten –
sieht dies aber anders aus. Was daher die EU-Stellen in ihren
Prüfberichten als «anhaltende» Preisstabilität
betrachten, dürfte für die Erweiterung der Euro-Zone
weit über die Slowakei hinaus von gewichtiger Bedeutung
sein.