Wiener Zeitung , 12. September.2007
Detroit rückt noch weiter nach Osten
Boom der Automobilindustrie macht die Slowakei zum Wachstumssieger der EU - BIP wuchs um fast 10 Prozent
Von Helmut Dité
- 2009 werden in der Slowakei eine Million Autos gebaut.
- Zulieferer ziehen weiter nach Osten.
Bratislava/Zilina. Der Ingenieur ist stolz: "Erst vor kurzem war der Herr VW-Präsident Piech da, mit Technikstudenten. und hat denen erklärt, dass das VW-Werk Bratislava das beste im ganzen Konzern ist." Jozef Uhrik war von Anfang an dabei - und hat auch schon anderes gehört. Damals, 1991, als der frühere Vizeminister und Generaldirektor eines nach der "Samtenen Revolution" zusammengebrochenen staatlichen Konglomerats, das mit rund 80.000 Mitarbeitern ungefähr die Hälfte der tschechoslowakischen Panzertechnik produziert hatte, dem damaligen VW-Konzernchef Hahn ein Konzept zum Aufbau einer slowakischen Autoindustrie vorlegte. Da soll der der Legende nach gesagt haben: "Uhrik, was sie hier vorhaben, das ist schon kein Risiko mehr, das ist Glücksspiel".
„VW hat mehr für die Slowakei getan, als Henry Ford für Detroit“, sagt Jozef Uhrik. Im Bild die – von Österreichern gelieferte – Seilbahn für Autos in Pressburg. Foto: dpa |
Uhrik gewann. Mit dem Werksausweis Nummer 1 machte er VW Slovakia aus einem kleinen Skoda-Zulieferbetrieb mit 112 Mitarbeitern – der Sportwagen "Rapid" wurde dort gebaut – zu einem hochmodernen Autowerk mit 10.000 Beschäftigten. Schon im Mai 2003 rollte der millionste VW in Devinska Nova Ves vom Band - nicht zufällig das Juwel der Produktion, der höchst erfolgreiche große VW-Geländewagen Touareg, mit dem VW-Patriarch Ferdinand Piech den Durchbruch in der Oberklasse geschafft hatte.
"Wir waren niemals nur die verlängerte Werkbank mit den billigen Arbeitskräften", sagt Uhrik. Mehr als die Hälfte der Belegschaft bei VW-Slovakia hat Matura, fast 10 Prozent einen akademischen Grad. "Wir haben immer die komplizierten Autos gebaut, und sind erfolgreich, weil wie die flexibelsten Produktionstechniken haben."
Bis 2005 war Uhrik Vorstandschef bei VW. Seitdem treibt er als Präsident des mittlerweile auf mehr als 160 Mitgliedsfirmen angewachsenen Verbandes der Slowakischen Automobilindustrie den Wandel des kleinen Landes zum - pro Kopf der Bevölkerung gerechnet – größten Autoproduzenten der Welt voran.
Pionier Jozef Uhrik. Foto: hdt |
Mehr als eine Million Autos sollen 2009 im "neuen Detroit" produziert werden, gut 800.000 Stück sind es wohl heuer schon. In seinem kleinen Büro in einem noch aus der realsozialistischen Plattenbauära stammenden Bau am Rande Pressburgs präsentiert Uhrik Statistiken. Die sind eindrucksvoll: Mehr als ein Drittel aller Exporte der Slowakei kommt schon aus der Autoindustrie.
Fast 10 Prozent BIP-Wachstum im HalbjahrDass das Land seit Jahren die höchsten BIP-Wachstumsraten der EU verzeichnet – im ersten Halbjahr wuchs die Wirtschaft wieder um fast 10 Prozent, fast vier Mal so stark wie die Eurozone, der man schon 2009 beitreten will, – geht zum größten Teil auf den Boom der Autobranche zurück. Die legte 2006 gleich um mehr als 80 Prozent zu.
Von Pressburg entlang der neuen Autobahn bis Zilina steht in jeder Stadt ein riesiges neues Auto- oder Zulieferwerk: Peugeot in Trnava, der von Continental übernommene Reifenriese Matador in Puchov, der amerikanische Zulieferer Johnson-Controls, Kia in Zilina (siehe unten).
Fast 70.000 Beschäftigte hatte die Branche im Land 2006, mehr als 100.000 werden es 2009 sein - denn immer neue Werke, vor allem Zulieferer, siedeln sich an. Dazu kommen gut noch zweimal so viele indirekt indizierte Arbeitsplätze. Angelockt werden die Firmen durch Förderungen, ein freundliches Steuersystem und den forcierten Ausbau der entsprechenden Infrastruktur. Schon 2010, nicht erst wie ursprünglich geplant 2012, soll die Autobahn bis Kosice fertig sein – dort baut die Ford-Getriebetochter Getrag ein Werk.
Jozef Uhrik zeigt nur wenig Verständnis für die Frage nach zu großer Abhängigkeit des Landes von seiner Branche: Er sieht Europas Autoindustrie durchaus in der Lage, auch bei Massenproduktion mitzuhalten: "Wenn man gemeinsam konkurrenzfähige Bedingungen schafft." Die diesbezügliche Industriepolitik der EU in Brüssel sieht er durchaus kritisch: "Da müsste mehr gemacht werden. Man müsste besser darauf reagieren, dass im Umkreis von 500 Kilometer um Pressburg – in Tschechien Südpolen, in Ungarn und Rumänien – die meisten Autos Europas gebaut – und auch gekauft – werden". Denn während der Markt in Westeuropa stagniert, wächst er im Osten um satte 15 bis 20 Prozent pro Jahr. Am wichtigsten seien jetzt Ausbildungsprogramme - "denn wenn die industrielle Basis da ist, kommen auch andere Branchen". Die Elektronikriesen Samsung und Sony sind schon da.
Und die Österreicher, die sich auch als automotives Exportland sehen? "Ein bisschen zögerlich - es fehlt an guten Straßen- und Bahnverbindungen – aber sie kommen". Gestern startete der steirische Zulieferer Pankl den Bau einer neuen Fabrik in Topolcany - unser "best cost-Standort", wie betont wurde.