Wiener Zeitung, 16. Februar 2007
Autowerker dringend gesucht
Autohersteller haben im "neuen Detroit" Slowakei schon mit Facharbeitermangel zu kämpfen
Jahresproduktion soll bis 2012 von 260.000 auf 840.000 Fahrzeuge steigen.
Arbeiter pendeln schon 100 Kilometer.
Trnava. (reuters/hdt) - Die Slowakei gilt mittlerweile als Detroit im Herzen Europas. Das Land profitiert von der Wanderung der Autoindustrie gen Osten, die vielen Arbeitern in Westeuropa schlaflose Nächte bereitet: Volkswagen, Porsche, Peugeot und Kia – sie alle haben bereits Werke in dem zentraleuropäischen Land oder sind dabei, diese in Betrieb zu nehmen. Schliesslich locken billige Arbeitskräfte und niedrige Steuern.
Zwar hat die Slowakei im vergangenen Jahr erst rund 260.000 Fahrzeuge produziert – in Polen wurden doppelt so viele und in der Tschechischen Republik mehr als drei Mal so viele gebaut. Im Verhältnis zur Bevölkerung des Landes werden aber bereits jetzt in keinem Land der Erde so viele Fahrzeuge hergestellt wie in der Slowakei – und bis 2012 soll die Stückzahl auf über 840.000 steigen.
Doch während Autobauer wie DaimlerChrysler, Ford und General Motors in den USA zigtausende Arbeitsplätze abbauen, suchen die Produktionsstätten in Zentraleuropa händeringend ausgebildete Mitarbeiter: Die zahlreichen Fabriken haben die vorhandene Fachkräfte bereits weitgehend aufgesaugt – der südkoreanische Autohersteller Kia Motors schaltet Suchinserate mittlerweile auch in den Nachbarländern.
Mit Bussen in das VW-Werk Pressburg
Auch Volkswagen spürt den Druck: "Wenn die Fabriken aller drei Autobauer erst einmal auf Hochtouren laufen, wird der Import von Arbeitskraft vermutlich unvermeidbar sei", sagt die Sprecherin von VW-Slovakia, Silvia Nosalova. Bislang behilft sich der Konzern noch mit gecharterten Bussen: Sie bringen die Mitarbeiter aus ihren bis zu 100 Kilometer entfernten Heimatorten zum Werk nahe der Hauptstadt Pressburg.
Geeignete Bewerber von auswärts locken die Autobauer oft auch mit einer Unterkunft in der Nähe der Fabrik. Frantisek Bardy, der bereits in mehreren Autofabriken gearbeitet hat, konnte sich vor Angeboten kaum retten. Obwohl seine Wohnung nahe des Kia-Betriebs in Zilina liegt und ihm die Südkoreaner eine Stelle anboten, entschied er sich schliesslich für die 150 Kilometer entfernt liegende brandneue Fabrik von Peugeot in Trnava. "Sie sagten mir, dass es hier Aufstiegsmöglichkeiten gibt und stellten mir eine Wohnung zur Verfügung", sagt der 27-Jährige, während er am Fliessband die Kühlsysteme des Peugeot 207 testet. In seine Heimatstadt fährt er nur noch alle zwei Wochen.
Um dem Mangel an Arbeitskräften entgegen zu wirken, setzen einige Autobauer jetzt auf die Ausbildung der Jugend. "Wir haben uns dazu entschlossen, mit Schulen zu kooperieren, die einen Schwerpunkt auf Technik legen, damit sie qualifizierte Leute auf die Autoindustrie vorbereiten", sagt der für die Slowakei zuständige Peugeot-Sprecher Peter Svec.
Insgesamt liegt die Arbeitslosenrate in der Slowakei trotz der zuletzt 2006 um 8,2 Prozent gewachsenen Wirtschaft noch bei 12 Prozent. Tendenz allerdings: stark sinkend.
Slowakei und Tschechien in Führung
Zwischen 1991 und 2006 hat die Autoindustrie in Ost- und Mitteleuropa rund 20 Milliarden US-Dollar investiert. Damit stieg der Anteil der Region an der globalen Automobilproduktion von unter fünf auf annähernd sieben Prozent. In den kommenden Jahren entfällt der Grossteil der Investitionsvorhaben auf die Slowakei und Tschechien: Nach PwC-Schätzungen wird im Jahr 2013 das Produktionsvolumen in der Slowakei um rund 700.000 und in Tschechien um 450.000 Pkw über dem aktuellen Niveau liegen, während die Zuwächse in Polen und Ungarn mit jeweils gut 100.000 Automobilen niedriger ausfallen. Zum Vergleich: Für Deutschland erwarten die Experten einen Produktionsanstieg um knapp 600.000 Fahrzeuge.
Mit Ausnahme von Audi sind in Mittel- und Osteuropa bislang vor allem Volumenhersteller präsent. Während Volkswagen, Renault, Fiat und Opel schon seit den 90er Jahren in der Region aktiv sind, haben die französische PSA-Gruppe und Hyundai den Standort erst in den vergangenen Jahren entdeckt. Ford wird den Kleinwagen Ka ab 2008 in Polen statt wie bisher in Valencia produzieren und ist damit erstmals mit einer eigenen Fertigung in Mitteleuropa vertreten.
Qualifizierte Arbeitskräfte werden knapp
Niedrige Lohnkosten sind ein wesentlicher Faktor für Produktionsverlagerungen nach Mittel- und Osteuropa. "Selbst wenn in der Slowakei der Durchschnittslohn ab sofort um jährlich vier Prozent und in Deutschland nur um ein Prozent jährlich steigen würde, wäre das Lohnniveau der beiden Länder erst in 70 Jahren ausgeglichen", verdeutlicht Gadesmann.
Ausserdem stehen den niedrigeren Löhnen zumindest anfänglich eine niedrigere Arbeitsproduktivität sowie höhere Aufwendungen für Lagerhaltung und Transport der Fahrzeuge zum Endkunden gegenüber. Bei einem Anteil der Lohnkosten von geschätzt 15 bis 25 Prozent an den gesamten Fertigungsaufwendungen kann insbesondere bei Volumenmodellen der Lohnkostenvorteil durch die höheren übrigen Aufwendungen schnell aufgezehrt sein.
Langfristig hohes Marktpotenzial
Hersteller benötigen auf den osteuropäischen Märkten einen langen Atem. In den vergangenen Jahren ist das Absatzvolumen vor allem in Polen und Ungarn deutlich geschrumpft. Nur dank des Booms in den Beitrittsstaaten Rumänien und Bulgarien, wo die Zulassungszahlen im Jahr 2005 um fast 50 Prozent zulegten, wuchs der gesamte Automarkt in Ost- und Mitteleuropa im Vergleich zu 2004 leicht um rund ein Prozent. Vorausgesetzt die Wirtschaftsverhältnisse gleichen sich an, sind die Länder Ost- und Mitteleuropas langfristig hoch interessant.
Allein in den acht Staaten, die bereits der EU beigetreten sind, leben rund 80 Millionen Menschen. Jährlich werden hier derzeit lediglich 10 bis 15 Neuwagen je 1.000 Einwohner verkauft, in der EU-15 sind es hingegen 30 bis 40 Pkw. Gadesmann: "Bei einer Angleichung der Wirtschaftsverhältnisse könnten damit langfristig bis zu zwei Millionen Autos mehr in der Region verkauft werden als heute".
Standortwahl mit Nebenwirkungen
Von grosser Bedeutung ist die Entscheidung, ob die Investition im Ausland zusätzliche Kapazitäten schaffen oder im Inland vorhandene ersetzen soll. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich arbeitsintensive Tätigkeiten leichter verlagern lassen als Bereiche mit einem hohen Anteil von Forschung und Entwicklung. Ausserdem ist die Standortfrage für die Autohersteller sensibler als für die Zulieferer. "Je stärker das Markenimage beim Käufer mit dem Herkunftsland des Autos verknüpft ist, desto grösser ist der potenzielle Marketingschaden durch eine Standortverlagerung. Das gilt erst recht, wenn die Auslandsinvestition Arbeitsplätze im ‚Heimatland' kostet", warnt Gadesmann.