NZZ, am 28. Juli 2006
Kampf gegen Korruption in Osteuropa
Weltbank-Studie konstatiert unterschiedlichen Willen zum Erfolg
Korruption ist in Osteuropa vielerorts kulturell tief verwurzelt. Um das Übel auszurotten, braucht es Zeit und einen starken Willen. Laut einer Weltbank-Studie zeigen Reformen in einem Grossteil der osteuropäischen Staaten erste Erfolge. Rückschläge verzeichnen hingegen Russland, Tschechien und Aserbeidschan.
Moskau, 27. Juli
Der Übergang zur Marktwirtschaft ist in den osteuropäischen Ländern und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion (GUS) mit einer enormen Verbreitung von Korruption einhergegangen. Der über Jahrzehnte eingespielte planwirtschaftliche Brauch, «Gefälligkeiten zu tauschen», bereitete dafür einen idealen Nährboden. So hecken Manager, Einkäufer, Ärzte usw. in häufig halbstaatlichen Unternehmen Schemen zur privaten Bereicherung und zum Einstreichen von Zahlungen aus. Vor allem aber sind es staatliche Stellen, die sich nach der Wende immer dreister ihre «Dienste» haben vergolden lassen. Ob Waren durch den Zoll zu bringen sind, Steuer-, Lebensmittel- oder Brandinspektoren vor der Türe stehen oder eine Bewilligung erneuert werden muss: Vielfach geht dies in Osteuropa nicht ohne «Gefälligkeiten» oder gar hohe Bestechungszahlungen, welche die Prosperität und Wettbewerbsfähigkeit so manchen Unternehmens bedrohen.
Hilfreiche Aussicht auf einen EU-Beitritt
Um mehr über das Ausmass und den Charakter des Problems zu erfahren, hat die Weltbank zusammen mit der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) 1999, 2002 und 2005 in allen Ländern insgesamt über 20 000 Unternehmen nach ihren Erfahrungen mit Korruption befragt. Dabei gaben je nach Land zwischen einem Fünftel und über der Hälfte aller Unternehmen an, dass Korruption für sie ein Problem sei, das ihre Geschäfte und ihr Wachstum behindere (vgl. Grafik). Kleine und neue Unternehmen leiden in der Regel stärker als grosse und alteingesessene Betriebe. Korruption trägt so dazu bei, Innovation zu hemmen und überkommene Strukturen am Leben zu erhalten; sie bremst den Strukturwandel.
Schmiergeldzahlungen sind in der GUS und den Nachfolgestaaten Jugoslawiens laut der Studie ein noch grösseres Problem als in den meisten osteuropäischen Ländern. Die mit einem Beitritt zur EU verbundenen Reformen sowie die Stärkung der Institutionen zeigen Wirkung. Die Aussicht, dass die Durchsetzung von Reformen zu einer Aufnahme im «Klub der entwickelten europäischen Länder» verhilft, hat offensichtlich den politischen Willen zu echten Veränderungen gestärkt. Eine Mehrzahl der osteuropäischen Länder verzeichnete zwischen 2002 und 2005 zumindest leichte Verbesserungen. Bei den EU-Beitritts-Kandidaten Bulgarien und Rumänien sind sie besonders ausgeprägt ausgefallen. Allerdings ist die Korruption nirgends auf westeuropäisches Niveau gefallen; dafür ist das Übel kulturell zu tief verwurzelt.
Für Erfolge ist in erster Linie der tatsächliche - und nicht bloss rhetorische - politische Wille zur Korruptionsbekämpfung entscheidend. Dieser fällt bei den verschiedenen Regierungen sehr unterschiedlich aus. Dies zeigt nicht zuletzt das Beispiel von Georgien. Das kaukasische Bergland gehörte 2002 zu den Ländern mit dem grössten Korruptionsproblem. Die damit verbundene, verbreitete Unzufriedenheit war ein wesentlicher Grund dafür, dass Ende 2003 ein Volksaufstand die Regierung von Präsident Schewardnadse stürzte. Das neue Team unter seinem Nachfolger Saakaschwili hat die Korruptionsbekämpfung zu einem zentralen Anliegen gemacht und damit prompt beachtliche Erfolge erzielt. In der Weltbankstudie weist Georgien die mit Abstand grössten Verbesserungen zwischen 2002 und 2005 auf. Korruptionsbekämpfung zu einem zentralen Anliegen gemacht und damit prompt beachtliche Erfolge erzielt.
span class="txthe11">
In der Weltbankstudie weist Georgien die mit Abstand grössten Verbesserungen zwischen 2002 und 2005 auf.
Auch in der Ukraine waren Erfolge zu verzeichnen - allerdings erst vergleichsweise bescheidene. Zu den korruptesten Ländern avancierten 2005 Albanien und Kirgistan. In Kirgistan wurde kurz vor der Befragung die Regierung des langjährigen Präsidenten Akajew gestürzt. Dies geschah nicht zuletzt, weil das Ausmass der Korruption für viele das erträgliche Mass überschritten hatte. Obwohl die Toleranz gegenüber Korruption in den Ländern kulturell unterschiedlich ausgeprägt ist, wird sie von der Wirtschaft und der Bevölkerung nirgends grenzenlos hingenommen.
Nur einfachere Systeme helfen
Laut der Weltbank-Studie hat das Ausmass der Korruption in vielen Ländern vor allem im Verkehr mit exekutiven Behörden und der Legislative abgenommen. Bestechliche Gerichte und ein korruptes öffentliches Beschaffungswesen bleiben ein weitverbreitetes Problem. Die Erfahrungen in den osteuropäischen Staaten und der GUS zeigen Folgendes: Erfolgreiche Korruptionsbekämpfung ist nicht eine Frage von Deklarationen und Kommissionen, sondern des echten Willens zu systemischen Veränderungen. So schaffen beispielsweise Reformen des Steuersystems und des Zollwesens Anreize für Unternehmen, legal zu arbeiten. Ausserdem mindern sie die Chancen für Behörden, Schmiergelder zu verlangen. Je einfacher die Systeme und je geringer der Entscheidungsspielraum von Beamten, umso weniger kann sich das Übel der Korruption verbreiten. Das Beispiel der neuen georgischen Verkehrspolizei illustriert zudem, dass eine attraktive, leistungsorientierte Entlohnung das Verhalten von ganzen Behörden grundlegend verändern kann. Vor allem eine Einschränkung des Kontakts von Unternehmen mit Beamten hat positive Auswirkungen, beispielsweise indem Kontrollmöglichkeiten in ihrer Häufigkeit und Dauer reduziert werden. Auch der Ersatz staatlicher Monopole durch miteinander im Wettbewerb stehende Marktteilnehmer trägt Früchte.
Unabhängige Kontrolle oder Angst
Grösser geworden ist das Problem der Korruption zwischen 2002 und 2005 laut der Studie in Tschechien, Russland und Aserbeidschan. Erstaunlich ist dies insofern, als die russische Regierung in diesem Zeitraum weitreichende systemische Reformen beschlossen hatte, die den Spielraum der mit Unternehmen interagierenden Behörden und die Anreize zu Korruption einschränken sollten. Doch erstens sind sowohl Russland als auch Aserbeidschan schnell wachsende Erdölländer, in denen der Staat und seine Verwaltung in den vergangenen Jahren offensichtlich Gefallen am grossen Petro-Geld gefunden haben. Zweitens ignorieren im weiten Russland viele Behörden anscheinend die neuen Vorschriften und schaffen sich per Dekret ihre eigenen Bestimmungen. Sie verlangen dann beispielsweise Bewilligungen, die auf föderaler Gesetzesstufe längst abgeschafft wurden. Dabei zeigt sich neuerlich, dass systemische Korruptionsbekämpfung wenig Aussicht auf Erfolg hat, solange nicht freie Medien, eine freie Zivilgesellschaft und unabhängige Gerichte über ihre Durchsetzung wachen. Eine Einschränkung der Freiheit, wie sie in Russland in letzter Zeit zu beobachten war, geht laut der Studie mit einem Anstieg der Korruption einher. Erstaunlicherweise eher gering fällt hingegen die Neigung, von Unternehmern Schmiergeldern zu verlangen, in extrem autoritären Ländern wie Weissrussland und Usbekistan aus. In diesen Diktaturen herrscht anscheinend solche Angst, dass sich sogar Beamte korrekt verhalten.