EurActiv.de, 12. März 2010
Radwege ohne Grenzen
Das Projekt "Radwege ohne Grenzen" verbindet die Slowakei mit den Nachbarländern Österreich und Ungarn und fördert die interregionalen Verbindungen und den Öko-Tourismus. Ein EU-gefördertes regionalpolitisches Projekt mit V600orbildcharakter, aber auch mit bürokratischen Hindernissen.
Radwege über Flüsse, über Grenzen: Brücke zwischen Komarno auf der slowakischen und Komáron auf der ungarischen Seite (Foto: EC)
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Zur Jahrhundertwende standen die Fahrradwege in der Slowakei noch ganz Anfang einer Entwicklung in Richtung eines modernen Netzwerks. Die lokalen Behörden hatten weder Planung noch Know how, so wurden die Fahrradwege zunächst ohne Plan und ohne Modell angelegt.
„Man kann sagen, sie wurden einfach am Schreibtisch entworfen“, erklärt Eva Lovasikova von der regionalen Entwicklungsagentur Senec-Pezinok in der Slowakei. „Einige Interessengruppen haben einfach die Landkarte genommen, haben am Tisch entschieden, wo man den Fahrradweg hinbaut, und haben den Weg auf der Karte einfach eingezeichnet, ohne die zuständigen Ämter der Kommunen um Genehmigung zu fragen.“
Dank der von der EU unterstützten grenzüberschreitenden Kooperationsprogramme hat sich die Situation inzwischen deutlich verbessert. Früher konnten sich die Slowaken auf keine modernen Radwege verlassen. Heute gibt es immer mehr Radwege, und die Einstellung der Bevölkerung ändert sich entsprechend. Die Slowaken steigen zunehmend auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel um, und Radfahren wird immer populärer. Zur Zeit gibt es bereits 108 Kilometer neuer Radwege in der Slowakei.
Im Schatten von Wien, Bratislava und Budapest
Kleine Grenzorte in der Slowakei, in Österreich und Ungarn werden häufig übersehen, seit die Hauptstädte der drei Länder – Wien, Bratislava und Budapest – so nah aneinander gerückt sind. Menschen, die zwischen den drei Metropolen hin- und hereilen, machen kaum Halt, um sich die kleineren Nachbarstädte und Dörfer anzusehen.
Seit 2005 jedoch arbeiten die slowakischen Regionen mit ihren österreichischen und ungarischen Nachbarn zusammen und entwickeln ein Konzept, das als Prototyp für internationale Fahrradwege dient.
Damals, es war noch vor dem EU-Beitritt der Slowakei, wurde das Projekt noch vom PHARE Fonds finanziert. In nur einem Jahr wurde das Projekt „Radwege ohne Grenzen“ erfolgreich umgesetzt. Von da an schlossen sich viele Dörfer und Städte dem Projekt an.
Große Geschichte in kleinen Städten
Jetzt verbindet der Fahrradweg die drei Hauptstädte und quert die kleineren Städte, die dadurch mehr Aufmerksamkeit finden. „Noch wissen die Leute viel zu wenig, dass diese Orte, obwohl sie klein sind, eine große Geschichte in sich bergen. In Vergessenheit geratene Gutsherrenhäuser, mittelalterliche Kirchen, römische Ruinen, wer hätte das gedacht?“ schildert ein Biker im Gespräch mit EurActiv Slowakei.
Tatsächlich ist mit den neuen internationalen Radwegen die Zahl der Touristen gestiegen, die die kleinen Grenzstädte besuchen. Die Bürgermeister und Stadtverwaltungen haben erkannt, welche Möglichkeiten darin liegen, und wollen sich beteiligen.
Die slowakische Stadt Komarno liegt direkt an der Grenze zu Ungarn. Seine reiche Geschichte, die alte Festungsanlage und der sehenswerte „Square of Europe“ – der Europaplatz ist eine Touristenattraktion mit Nachbauten aus mehreren europäischen Städten und soll die europäische Integration symbolisieren – machen den Ort zum idealen Reiseziel. Komarno hat sich ebenfalls entschlossen, am internationen Radweg zu beteiligen. Obwohl das Städtchen erst in diesem Jahr beigetreten ist, sind die Erwartungen recht hoch.
„Die Bürger sind begeistert. Der Radweg wird unsere Stadt mit dem ungarischen Gegenstück, Komárom, verbinden. Dadurch werden noch mehr Besucher zu uns kommen“, hofft Beata Seboova vom städtischen Amt für Landschaftsschutz. Die Behörde hat bereits Mittel vom grenzüberscheitenden slowakisch-ungarischen Kooperationsprogramm erhalten und sucht nun einen passenden Partner über öffentliche Auftragsvergabe.
Tausende Touristen radeln alljährlich auf dem ganzen Weg oder einer Teilstrecke. Viele von ihnen kommen von weither. Ohne die Radwege würden diese Touristen vermutlich nie die Grenzorte besuchen, da sind sich die lokalen Behörden sicher.
Das Radwegenetz sorgt aber nicht nur für steigende Umsätze im Tourismus, sondern spielt auch eine wichtige soziale und ökologische Rolle und trägt zudem zur Volksgesundheit bei. Immer mehr Familien verbringen ihre Wochenende gemeinsam auf den Rädern – ein gesunder und umweltfreundlicher Zeitvertreib. „Es ist gelungen, eine intakte Umwelt für uns Radfahrer zu schaffen“, meint einer der Touristen. „Das ist super für Familienausflüge und für Picknicks im Grünen.“
Auch kulturell können die Radwege die Hürden zwischen den Ländern niederreißen. Die Bewohner der Grenzregionen arbeiten plötzlich auf einer bisher ungewohnten europäuschen Ebene zusammen. Sie verbessern ihre Kommunikation und stimmen ihre Aktivitäten besser ab.
Fokus auf Infrastruktur
Als neues EU-Mitgliedsland – die Slowakei ist 2004 beigetreten – verwendet die Slowakei die europäischen Regionalfonds vor allem für den Bau neuer oder den Ausbau vorhandener Infrastruktur. Daher haben die meisten Projekte, die von den Behörden des Landes genehmigt werden, eine ähnliche Struktur und einen vergleichbaren Umfang.
Ein Sprecher des slowakischen Ministeriums für Bauwesen und Regionalentwicklung erklärte: „Im Moment konzentrieren wir uns gar nicht so sehr auf die langfristigen Ziele der Lissabon-Strategie.“ Das wichtigste Ziel des regionalen Handlungsprogramms sei es, die Qualität und den Zugang zur grundlegenden Infrastruktur zu verbessern.
„Das ist sicher eine der größten Leistungen der neuen Mitgliedsstaaten – wir konnten die alten Mitgliedsländer überzeugen, dass wir zuerst die Infrastruktur haben müssen, erst dann können wir uns um Innovationen und Wettbewerbsfähigkeit kümmern. Aber in der nächsten Periode, also 2014 bis 2020, werden unsere Programme schon viel mehr der Lissabon-Strategie entsprechen.“
So gesehen, ist das Radwegekonzept in der Slowakei einzigartig. Eva Lovasikova vom slowakischen Amt für Regionalentwicklung meint: „Durch den Bau von Radwegen steigen die Möglichkeiten der Städte und der ganzen Region deutlich. Der Fremdenverkehr wächst. Und im Fall der Grenzregionen, so wie die Donauregion und Mähren, eröffnen sich neue Wege der Zusammenarbeit.“
Auf diesem Erfolg aufbauend, entstehen bereits Pläne, die Weinregionen der Slowakei und Österreichs mit der Tschechischen Republik zu verbinden. Das Projekt, das vom Interreg-Programm der EU mitfinanziert wird, nennt sich „Rad- und Weinregion Weinviertel - Südmähren“. Es soll fast zwanzig Dörfer verbinden und den Regionen ermöglichen, Winzertraditionen und Weinkultur mit den Fahrradtouristen zu teilen.
Streit um Eigentumsrechte
Allerdings läuft nicht alles wie geschmiert. So mag es überraschen, dass das letzte Teilstück des internationalen Radwegs in der slowakischen Hauptstadt noch nicht fertiggestellt ist. „Es ist wirklich schwierig, hier Fahrradwege anzulegen“, erklärt Katarina Szabova von der städtischen Organisation StaRZ, die für die Radwege zuständig ist. „Der Streit um Eigentumsrechte und das rasant wachsende Verkehrsaufkommen erschweren die Lage signifikant.“
Im Gespräch mi der slowakischen Redaktion von EurActiv fügt sie hinzu: „Eigentlich hätten all diese Fragen längst erledigt sein können.“ Dennoch dürfte das letzte Teilstück noch in diesem Jahr fertig werden.
Ausufernde Bürokratie lokaler Behörden
In der Slowakei sind EU-Fonds ein relativ neues Thema. Obwohl das Land mehr als elf Milliarden Euro in der Periode von 2007 bis 2013 erhalten hat, wurde der Großteil davon noch nicht zugeteilt. Städte und kleinere Kommunen stehen vor vielen Hürden, wenn sie Fördermittel beantragen.
Ausufernde Bürokratie ist eines der größten Probleme. Nach Ansicht von Experten kommen viele administrativen Hindernisse nicht aus Brüssel, sondern von den lokalen Stellen. Daher haben die EU-Förderungen den Ruf, sehr schwierig zugänglich und voll von Hindernissen und absurden Vorschriften zu sein.
Falsches Komma auf dem Formular
Gleich zu Beginn gibt es unnötigen Verwaltungsballast. Die zuständigen Behörden verlangen eine Menge Dokumente, die in der ganzen Projektphase nie benötigt werden“, klagt Ctibor Kostal von slowakischen Governance Institut.
Eine Menge von Projekten hat keine Chance, einfach weil auf den Formularen das Antragsdatum oder ein Komma falsch geschrieben sind.
Wegen dieser Hindernisse lassen sich kleine Kommunen oft entmutigen und stellen erst gar keinen EU-Förderantrag. „Die Bürgermeister der kleineren Orte haben uns erzählt, dass sie zwar die Prioektvorschläge schon fertig ausgearbeitet haben, aber dann doch zögern, den Förderantrag zu stellen“, berichtet Helena Polakova vom slowakischen Städte- und Gemeindebund (ZMOS).
Sie betont, dass nicht einmal die negativen Auswirkungen der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise auf die kommunalen Haushalte daran etwas ändern. Polakova unterstreicht, dass die EU-Förderungen eine große Hilfe wären, aber dass die Kommunen nach wie vor große Schwierigkeiten haben, sie in Anspruch nehmen zu können.
Wenn die Schule erst renoviert und dann geschlossen wird
Ein anderes Problem ist die Lebensdauer der genehmigten Projekte. Oft erteilen die Behörden ihre Zustimmung für Projekte, die nicht sonderlich nachhaltig sind. Das macht sich bemerkbar, sobald die EU-Förderungen versiegen. „Es gibt zwei Themen: Einmal werden die EU-Mittel als leichtes Geld betrachtet, meist von Antragstellern, die auf andere Weise nicht einmal daran denken könnten, ihr Projekt finanziert zu bekommen. Zum Beispiel wird die Renovierung einer Schule gefördert, die dann aber wegen Schülermangels geschlossen werden muss.“ Die andere Schwachstelle ist, so Kostal, dass manche Projekte nicht auf Dauer angelegt sind, weil da die Nachhaltigkeit eines Projekts im Auswahlverfahren kein Kriterium darstellt.
Obwohl Schritte gegen solche Schwachstellen unternommen werden, verändert sich die Situation nur sehr langsam. „Der Behördenkram dominiert immer noch, obwohl sich schon vieles gebessert hat“, meint Miroslav Babka von ZMOS. „Aber in vielen Fällen dauert es noch immer viel zu lang, bis man mit der ersten Auszahlung für ein Projekt rechnen kann.“
Hintergrund
Die Regionalpolitik der Periode 2007-2013 macht ungefähr ein Drittel des Gesamtbudgets der EU aus. Nach derzeitiger Regelung sind Regionen mit einem Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt von weniger als 75 Prozent des EU-Durchschnitts berechtigt, von der EU Unterstützungen zu beantragen. Eine vollständige Liste der EU-Regionen und der in Frage kommenden Formen von Unterstützung ist hier einzusehen.
Das Ziel der europäischen Regionalpolitik ist es, die Kluft zwischen den Entwicklungsstufen der verschiedenen Regionen zu verkleinern. Dazu dient die sogenannte Wirtschafts- und Sozialkohäsion.
Für die Periode 2007-2013 erhielt die Slowakei 11,3 Milliarden Euro. Allerdings waren Ende 2009 erst 250 Millionen davon zugeteilt. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit und regionale Entwicklung gehören zu den höchsten Prioritäten der slowakischen Politik.
Die Slowakei hat als neues EU-Mitglied noch keine lange Geschichte als Empfänger von EU-Mitteln. Vor der laufenden Haushaltsperiode verwendete das Land zunächst Gelder aus EU-Regionalfonds einer verkürzten Zweijahresperiode (2004-2006).
Der Plan, einen internationalen Radweg anzulegen, entstand 2005 und wurde damals durch den Vor-Beitritts-Fonds PHARE mitfinanziert. Seit damals haben viele Städte und Gemeinden beschlossen, dem Projekt beizutreten. Dabei werden die meisten Projekte durch EU-Fonds mitfinanziert, die die grenzüberschreitende Kooperation und die regionale Entwicklung fördern (Interreg).
2009 hat die Europäische Kommission das Radfahren als gesunde Transportart zum Schwerpunkt gefördert (cycling as a healthy form of transport). Verschiedene europäische Städte haben sich selbst verpflichtet, mit konkreten Zielvorgaben den Gebrauch des Fahrrads zu fördern.
EurActiv berichtet laufend über regionalpolitische Themen aus dem ganzen EU-Raum. EurActiv.com und die Netzwerkpartner veröffentlichen Artikel über „Projekte des Monats“, in denen die von vom Regionalfonds unterstützten Projekte untersucht werden.
(Aus dem Englischen übersetzt von Ewald König)