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Neue Zürcher Zeitung, 27. November 2013
Slowakei über sich selbst erschrocken
Die unerwartete Wahl des Rechtsradikalen Marian Kotleba zum Vorsitzenden der Regionalverwaltung des Kreises Banska Bystrica hat in der Slowakei hohe Wellen geworfen. Bestürzte Politiker und Kommentatoren fragen, wie das geschehen konnte.
Rudolf Hermann, Prag
Die unerwartete Wahl des Rechtsradikalen Marian Kotleba zum Vorsitzenden der Regionalverwaltung des Kreises Banska Bystrica hat in der Slowakei hohe Wellen geworfen.
Bild: Ceystone |
Die erfolgreiche Wahl des Rechtsradikalen Marian Kotleba zum Zupan (Vorsitzenden der Regionalverwaltung) des Landkreises Banska Bystrica hat in der Slowakei Bestürzung ausgelöst. Kotleba, der sich seit rund zehn Jahren mit extremistischer Rhetorik, Anlehnung an den faschistischen slowakischen Staat zur Zeit des Zweiten Weltkriegs und Ausfälligkeiten gegen die Roma-Minderheit in der Öffentlichkeit hervortut, ist zwar kein Unbekannter. Doch dass er mit einem solch zweifelhaften Profil ein so hohes politisches Amt zu erringen vermochte, hat die Elite des Landes aufgeschreckt.
Böses Erwachen
Kotleba gewann am Wochenende, wie bereits kurz gemeldet, die Stichwahl um das höchste Exekutivamt der mittelslowakischen Region Banska Bystrica. Der Träger dieser Funktion wird in Direktwahl durch die Stimmbürger ermittelt; in einer separaten Wahl wird daneben das Regionalparlament bestellt. Ein Blick auf die Zahlen relativiert zwar Kotlebas Erfolg. Er erhielt 55 Prozent der Stimmen bei einer Stimmbeteiligung von 25 Prozent, also die Stimmen von etwa 14 Prozent aller Wahlberechtigten. Das ändert jedoch wenig daran, dass das Resultat ein böses Erwachen für diejenigen darstellt, die dachten, in einem demokratischen System hätten Extremisten solcher Prägung keine Chance auf Regierungsämter.
Faktisch wird Kotleba wenig ausrichten können. Im neuen Regionalparlament ist er der einzige Vertreter seiner Formation Volkspartei – unsere Slowakei (LSNS). Tonangebend ist dort die sozialdemokratische Smer-Partei, die auf gesamtstaatlicher Ebene seit den Parlamentswahlen von 2012 allein regiert und im Kreis Banska Bystrica von 2009 bis 2013 mit Vladimir Manka den Zupan stellte. Manka verlor nun zwar den Ausstich gegen Kotleba, doch die Smer hat im Regionalparlament immer noch eine starke Position.
Der slowakische Ministerpräsident und Smer-Vorsitzende Fico schob die Schuld für Kotlebas Triumph den Mitte-Rechts-Parteien in die Schuhe, die nach dem Motto «alle gegen Smer» gehandelt und dadurch den Aufstieg des Rechtsextremen ermöglicht hätten. Nachdem Ficos Partei in der Region in den letzten vier Jahren die Geschäfte geführt hat, kann sie sich allerdings nicht so billig aus der Verantwortung stehlen. Das Resultat der Protestwahl ist, nicht zuletzt durch die Wahlabstinenz, auch ein Verdikt der Bevölkerung über die Arbeit der Regionalregierung.
Ungelöste Probleme
Laut Kommentatoren ist die Ursache dafür, dass es zum Wahlsieg Kotlebas überhaupt kommen konnte, in verbreiteter Politikverdrossenheit einer Bevölkerung zu suchen, die sich durch ihre Politiker nicht vertreten und in ihren Anliegen nicht ernst genommen fühlt. Das Desinteresse an der Wahl, und zwar in allen Teilen des Landes, ist ein Indikator dafür. In Banska Bystrica war die Wahlbeteiligung höher als in anderen Regionen. Denn hier stand mit dem Radikalen Kotleba ein Kandidat zur Verfügung, mit welchem die wenigen, die zur Urne gingen, «denen da oben» eins auswischen konnten.
Kotleba erreichte die unzufriedenen Wähler in dem von hoher Arbeitslosigkeit und Problemen mit der Roma-Minderheit geprägten Landkreis mit einer simplen Rhetorik: «Anständige Leute» hätten ein hartes Leben, während «Parasiten» Sozialhilfe bezögen; hier gelte es, endlich Ordnung zu schaffen. Auf dieses einfache Rezept waren viele bereit zu hören.
Dass Kotlebas Roma-Hetze verfing, hängt auch damit zusammen, dass die Roma-Frage in der Slowakei systematisch verdrängt wird, und zwar von Politikern aller Richtungen. Es ist ein über Jahre entstandenes und zugegebenermassen äusserst kompliziertes Problem, das langfristiger Lösungsansätze bedarf und sich nicht in einer Legislaturperiode bewältigen lässt. Gerade deshalb wird es nicht ernsthaft angegangen, denn als Politiker kann man sich daran höchstens die Finger verbrennen.