Archiv - Politik / Gesellschaft
NZZ, 22. Dezember 2006
Vom Beharrungsvermögen der Freiheit in der Slowakei
Die Demontage von Dzurindas liberalem Erbe durch die Linkspopulisten erweist sich als schwierig
Die Slowakei ist mit der Machtübernahme des Linkspopulisten Fico nicht etwa in einen Abgrund gestürzt. Die Wirtschaft, von Ficos Vorgänger Dzurinda in Schwung gebracht, boomt vorläufig weiter. Die Feinde der Institutionen zur Bekämpfung der Korruption und zur Aufarbeitung der totalitären Vergangenheit sind allerdings erstarkt
U. Sd. Bratislava, im Dezember
Er sagt es mit souveräner Bescheidenheit, ganz zu Ende des Gesprächs: «Arbeitslosigkeit ist bei uns kein Thema.» Der kürzlich wiedergewählte Bürgermeister Bratislavas, Andrej Durkovsky, weiss sehr wohl, dass er Unerhörtes von sich gibt. Während Länder wie Italien, Frankreich und Deutschland froh sein müssen, wenn die Konjunktur wenigstens in der Vorweihnachtszeit ihre seit Jahren hohen Arbeitslosenzahlen etwas korrigiert, kennt man in den blühenden Regionen der Slowakei solche Probleme nur noch vom Hörensagen. Gerade einmal knapp 3 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung Bratislavas sind derzeit ohne Anstellung - ein Resultat der liberalen, die Arbeitsmärkte öffnenden Politik des früheren Ministerpräsidenten Mikulas Dzurinda, wie auch Durkovsky emphatisch bestätigt.
Bratislava putzt sich heraus
Wo es boomt, wird gebaut. Stolz zählt Durkovsky die städtischen Projekte auf. Ein Technopark soll entstehen, etliche Freizeitparks, neue Tram- und Busverbindungen (eine U-Bahn kann man sich nicht leisten), Tageszentren mit Betreuung für Alte, verbilligte Eigentumswohnungen für junge Familien, ein Fussballstadion, in das sich die drei grossen Klubs von Bratislava, Inter, Artmedia und Slovan, teilen werden, neue Theater und eine Kulturhalle. Kunst und Kultur sollen, so Durkovsky, zur Touristenattraktion werden. Denn noch bleiben die Touristen im Schnitt nur zwei Tage - zu wenig nach dem Geschmack der ambitiösen örtlichen Hotellerie.
Doch selbst beneidenswerte Bürgermeister haben Sorgen. Durkovsky beklagt, dass Bratislava als relativ reiche Stadt vom Geldsegen der EU (und vom Taschengeld der Schweizer «Kohäsionsmilliarde») nur wenig sehen wird. Die Unterstützung geht hauptsächlich in die strukturschwachen Gebiete des Ostens, was sicher richtig ist. Zum andern befürchtet Durkovsky, die neue Regierung des linkspopulistischen Ministerpräsidenten Robert Fico werde die Stadt weit weniger aktiv unterstützen, als dies Dzurinda getan hat. Fico hat bereits begonnen, seine populistischen Wahlversprechen wahr zu machen. Mit höheren Pensionen und einem grosszügigen Weihnachtsgeld sorgt er für gute Stimmung. Er kann es sich leisten, denn er greift in eine volle Staatskasse, und er hat mit grosser Genugtuung feststellen dürfen, dass die internationalen Investoren trotz seinen sozialistischen Parolen dem Land die Treue gehalten haben.
Gesichtsverlust von Fico
Nicht ganz so gelassen sind die Chefs von Institutionen, die unter Dzurinda eingerichtet wurden und die der slowakischen Gesellschaft helfen sollen, mit dem lastenden Erbe des Kommunismus fertig zu werden. In Pezinok, einer Kleinstadt unweit von Bratislava, treffen wir den Präsidenten des Slowakischen Spezialgerichts zur Bekämpfung der Korruption und des organisierten Verbrechens, Igor Kralik. Er kann auf eine Reihe schöner Erfolge zurückblicken, doch genau deswegen eckt er in der neuen Regierung Ficos an. Vor allem Justizminister Stefan Harabin, ein Politiker der Bewegung für eine Demokratische Slowakei (HZDS), hat es auf ihn abgesehen. Harabin hat dieser Tage bereits den zweiten Gesetzesentwurf vorgelegt, der die Abschaffung des Sondergerichts von Pezinok verlangt. Das Motiv hinter seinem Vorstoss ist nicht schwer auszumachen. Vor allem in der HZDS und in der xenophoben Nationalpartei (SNS), zum Teil aber auch in der Partei Smer von Ministerpräsident Fico sitzen jene Altkommunisten und Profiteure, die während der skandalösen Privatisierung in den neunziger Jahren unter dem umstrittenen Ministerpräsidenten Meciar auf oft illegale Weise reich wurden. Politiker exakt dieses Schlags sind es, auf die sich das Sondergericht spezialisiert hat.
Und doch gibt es Hoffnung. Vor kurzem sprach sich Fico an einem Kongress der Smer deutlich gegen den Vorschlag Harabins aus, was wohl das Aus für dessen Vorstoss bedeutet. Das Machtwort Ficos hat allerdings weniger mit bisher verborgen gebliebenen Sympathien des Regierungschefs für die Rechtsstaatlichkeit als mit seinem Bedürfnis nach Profilierung zu tun. Der Regierungschef hat in seinen Auseinandersetzungen mit der HZDS und Meciar nämlich bisher alles andere als einen souveränen Eindruck erweckt. Als es jüngst um die Ernennung des staatlichen slowakischen Vertreters im Vorstand der Pipelinefirma Transpetrol ging, kritisierte Fico zunächst den von Meciars HZDS portierten Kandidaten, Julius Rezes, als absolut ungeeignet. Rezes und sein Vater, Alexander Rezes, gehörten zu den Hauptakteuren der wilden slowakischen Privatisierung. Mit dubiosen Mitteln und grosszügig unterstützt von Meciar erwarben sie damals ein grosses Stahlwerk in der Ostslowakei, ruinierten es in wenigen Jahren komplett (wobei sie selber sehr viel reicher wurden) und verkauften es schliesslich an US Steel. Laut der Zeitung «Sme» unterhielten Vater und Sohn Rezes damals intensive Kontakte zur slowakischen Unterwelt.
Nach einer Krisensitzung mit Meciar sagte Fico kleinlaut, er sei zwar noch immer gegen Rezes, doch da die HZDS die Verantwortung für ihren Kandidaten übernommen habe, stimme er der Entsendung des Mannes in den Vorstand von Transpetrol dennoch zu. Fico als Meciars Pudel? In den Medien wurde der populistische Regierungschef jedenfalls ausgiebig verhöhnt, und bis heute kann niemand einleuchtend erklären, was ein offensichtlich unfähiger Manager mit undurchsichtiger Vergangenheit im Vorstand eines wichtigen halbstaatlichen Betriebes zu suchen hat. Nun scheint sich Fico im Falle des Gerichtshofs von Pezinok durchsetzen zu wollen, und deshalb hat er wohl die Desavouierung von Justizminister Harabin, der als Erfüllungsgehilfe Meciars gilt, gerne in Kauf genommen.
Wider den russischen Einfluss
Transpetrol gehört zu 51 Prozent dem slowakischen Staat und zu 49 Prozent den Rechtsnachfolgern von Yukos, der russischen Energiefirma, die Präsident Putin dem Oligarchen Chodorkowski entwunden hat. Bratislava versucht seit einiger Zeit, den Yukos-Anteil zurückzuerwerben, weil man befürchtet, die Rechtsnachfolger von Yukos wollten nur russisches, nicht aber beispielsweise kaspisches Öl durch die Transpetrol-Pipelines fliessen lassen. Damit allerdings würde das westeuropäische Ziel einer grösseren Diversifikation unterlaufen. Transpetrol befördert jährlich rund 10 Millionen Tonnen Rohöl durch die Druschba-Pipeline. Die eine Hälfte davon wird in der slowakischen Raffinerie Slovnaft verarbeitet, die andere geht weiter in die Tschechische Republik.
Bedroht von der revisionistischen Tendenz in der Regierung Ficos fühlt sich auch das Institut des Nationalen Gedenkens, das die Akten der Staatssicherheit verwaltet und beauftragt ist, Licht in die Barbareien der Nazizeit und der Zeit des Kommunismus zu bringen. Der Chef des Archivs, Ladislav Bukovszky, hält eine Auflösung des Instituts für durchaus möglich, vor allem seit der Fraktionschef der SNS, Rafael Rafaj, bekanntgegeben hat, er wünsche die Zerschlagung des Instituts. Die Akten sollten ans Innenministerium gehen, das Institut selber solle der Akademie der Wissenschaften eingegliedert werden.
Die Rache der Beerbten
Der stellvertretende Regierungschef und Smer-Politiker Dusan Caplovic hat angeregt, das Institut dem Slowakischen Nationalarchiv zuzuordnen. Bisher war das Institut des Nationalen Gedenkens regierungsunabhängig und lediglich dem Parlament auskunftspflichtig, und seine Arbeit hat der Slowakei bereits wichtige erste Impulse zu einer systematischen Aufarbeitung der totalitären Phasen ihrer jüngeren Geschichte gegeben. Noch hat keine Partei einen Gesetzesentwurf zur Liquidation des Instituts vorgelegt. So etwas zu fordern, käme fast einer Apologie der kommunistischen Schreckensherrschaft gleich, und davor scheuen auch in der Slowakei doch noch viele zurück.
Bukovszky fürchtet dennoch eine Attacke. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion, so der Archiv-Chef, könnten die interessierten Kreise - SNS, Smer, HZDS und Teile der Christlichdemokraten - die Aufteilung und damit de facto die Neutralisierung des ihnen verhassten Instituts beschliessen. Eine solche Aktion käme vor allem Personen vom Schlage von Alois Lorenc zupass. Lorenc war bis 1989 Erster Stellvertretender Innenminister der Tschechoslowakei und Chef des tschechoslowakischen Geheimdienstes. Als Vertreter des Husak-Regimes war der General nicht nur mitverantwortlich für die Bekämpfung der Dissidenten; vielen namhaften Historikern gilt er auch als Initiator der Vernichtung zahlreicher Akten während der «Samtenen Revolution». Lorenc ist nie vor Gericht gestellt worden. Heute ist er Sicherheitsexperte in der Penta-Gruppe, einem slowakischen Konglomerat mit Interessen in zahlreichen Branchen. In der Slowakei gilt es als offenes Geheimnis, dass die Geschicke von Penta von Alexander Lexa gesteuert werden, einer landesweit bekannten grauen Eminenz. Alexander Lexa wiederum ist der Vater von Ivan Lexa, dem slowakischen Geheimdienstchef in der Ära Meciar. Der Geheimdienst Ivan Lexas wurde von der Staatsanwaltschaft in Bratislava mit der Entführung des Sohns des damaligen Präsidenten Michal Kovac in Zusammenhang gebracht. Nachdem Lexa von Interpol in Südafrika gefasst worden war, kam es zu einem stark beachteten Prozess, der mit dem sensationellen Freispruch Lexas in allen vierzehn Anklagepunkten endete.
Kein politisches Ereignis hat zur Atmosphäre des Zynismus und der Apathie, die in der Slowakei noch lange nach dem Ende der Ära Meciar herrschte, mehr beigetragen als dieses skandalöse Urteil. Liberale Demokraten sind bis heute der festen Überzeugung, die Richter seien damals von der einflussreichen Penta-Gruppe bestochen worden.
Erstaunliche Sparsamkeit
Wohin das Regime Fico die Slowakei führen wird, ist derzeit noch nicht absehbar. Der Linkspopulist, der auf einer Welle der Ressentiments gegen Dzurindas Reformpolitik an die Macht ritt, sieht sich in einer heiklen Lage. Innenpolitisch ist er ein Glückspilz sondergleichen. Er schwimmt förmlich im Geldsegen, der ihm Dzurinda gesichert hat, und als wäre dies noch nicht genug, wird auch er es sein, der bis 2013 die 11 Milliarden Euro aus dem Brüsseler Strukturfonds verteilen darf. Vorläufig sieht es nicht so aus, als wolle die Regierung diese hervorragende Ausgangslage leichtsinnig verspielen. Der vielkritisierte Finanzminister Pociatek zeigt sich erstaunlich sparsam. Auch scheint der Dauerstreit zwischen Fico und Meciar, der es nicht gewohnt ist, die zweite Geige zu spielen, die Koalition vorerst nicht ernsthaft zu gefährden.