Archiv - Politik / Gesellschaft
NZZ, am 19.06.2006
Schaler Triumph der slowakischen Populisten
Mehrheit für Ficos Partei Smer bei den Parlamentsahlen
Die linkspopulistische Partei Smer ist bei den Parlamentswahlen in der Slowakei stärkste Partei geworden, dürfte aber Schwierigkeiten bei der Koalitionsbildung haben. Die liberalen Christlichdemokraten Ministerpräsident Dzurindas schnitten über Erwarten gut ab und rechnen damit, ihre Reformen weiterführen zu können.
U. Sd. Prag, 18. Juni
Es scheint, als ob die Slowakei der Reformen von Ministerpräsident Mikulas Dzurinda doch nicht überdrüssig sei. Zwar wurde, wie erwartet, die linkspopulistische Smer (Richtung) des Anwalts Robert Fico bei der Parlamentswahl am Wochenende stärkste Partei. Doch sie blieb unter den Erwartungen und musste zudem zähneknirschend konstatieren, dass die Demokratische und Christliche Union (SDKU) des liberalen Dzurinda sensationell gut abschnitt. Sie wurde die zweitstärkste Kraft im Parlament, und Dzurinda hat durchaus realistische Aussichten, zum dritten Mal in Folge Regierungschef zu werden.
Erstarkte Populisten
Laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis kam die Partei Smer auf 29,1 Prozent der Stimmen und wird im 150 Sitze zählenden Parlament 50 Mandate haben. Vor vier Jahren war sie noch auf 13,5 Prozent gekommen. Vorhergesagt hatten die Auguren der Partei Ficos allerdings weit über 30 Prozent. Die SDKU Dzurindas, der von seinen Gegnern im In- und Ausland über Wochen hinweg mit Inbrunst als seelenloser und korrupter Neoliberaler beschimpft worden war, erreichte 18,4 Prozent, was nicht nur einem markanten Zugewinn gegenüber der Wahl von 2002 gleichkommt, sondern auch die professionellen Auguren beschämt, welche die SDKU praktisch geschlossen bei etwa 10 Prozent gesehen hatten. Die sich stets so wichtigtuerisch gerierende Zunft wird sich fragen lassen müssen, warum sie die Partei des Regierungschefs so krass benachteiligt hatte. Es riecht, wieder einmal, nach bezahlter Begünstigung.
Praktisch gleichauf liegen die Slowakische Nationalpartei (SNS) des xenophoben Nationalisten Jan Slota und die Ungarische Koalitionspartei mit je 11,7 Prozent der Stimmen. Zumindest im Falle der Partei der ethnischen Ungarn entspricht dies ziemlich genau den Erwartungen, was insofern nicht überrascht, als diese Gruppe eine feste und verlässliche Stammwählerschaft hinter sich weiss. Enttäuschend verlief die Wahl für die Christlichdemokraten, die wie vor vier Jahren auf 8,3 Prozent kamen. Geradezu katastrophal schnitt schliesslich die Bewegung für eine Demokratische Slowakei (HZDS) des früheren Ministerpräsidenten Vladimir Meciar ab. Sie verlor über 10 Prozent ihrer Wähler und blieb bei gerade noch 8,8 Prozent stehen. Die Wahlbeteiligung betrug magere 54,7 Prozent. Die herausragenden Merkmale dieser Wahl sind, nebst Ficos enttäuschendem und Dzurindas erfreulichem Abschneiden, sicher der Vormarsch der Rechtsnationalen SNS (Slovenska Narodna Strana) und der Einbruch der HZDS Meciars. Die SNS, eine primitiv populistische, fremden- und europafeindliche Gruppierung, hat einen kometenhaften Aufstieg hinter sich: Im Jahre 2002 war sie noch auf 3,3 Prozent gekommen und hatte den Einzug in die Legislative verpasst. Seither hat die Politik demagogischer Fremdenfeindlichkeit, die sich vor allem gegen die Minderheiten der Ungarn und der Roma richtet, Früchte getragen.
Die noble «classe politique» in Bratislava wird sich damit abfinden müssen, dass die xenophoben Plebejer von nun an eine nicht unwichtige Rolle spielen werden: zunächst bei den Koalitionsverhandlungen und später als drittstärkste Kraft im Parlament. Meciars Einbruch hingegen kann für die Slowakei nur von Gutem sein. Mitleidlos und brüsk hat sich die Wählerschaft von dem Mann, der bisher stets Anführer der stärksten Partei des Landes gewesen ist, abgewandt.
Wer die Slowakei künftig regieren wird, ist vorläufig offen. Sicher wird Fico als Führer der stärksten Partei zunächst den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten. Doch seine Optionen sind beschränkt. Seine Wunschpartner sind erklärtermassen die Christlichdemokraten und die Partei der Ungarn, die in der Vorwahlzeit, ziemlich charakterlos taktierend, ein Zusammengehen mit Fico nicht ganz ausgeschlossen hatten. Doch wieso sollten die bisherigen Koalitionspartner Dzurindas, durch und durch bürgerlich gesinnt und zudem erfahren im Umgang mit dem energischen Regierungschef, mit dem Linken Fico zusammenspannen? Sagen sie ihm ab, bliebe dem Chef der Partei Smer nur der Gang zu SNS. Eine derartige Kungelei zwischen linken und rechten Populisten wäre allerdings eine äusserst unappetitliche Angelegenheit, eine «hässliche Koalition», die das Image des Landes stark schädigte.
Eine «Koalition der Vernunft»?
Berührungsflächen zwischen Fico und Slota gäbe es zwar zur Genüge: Beide sind euroskeptisch, und Ficos Leute haben im Europarat immer wieder heftig gegen die angeblichen Autonomiegelüste der Ungarn agitiert- auf der xenophoben Ebene trifft man sich also durchaus. Doch selbst wenn sich Smer und SNS einig würden, ergäbe dies noch keine Mehrheit; auch das Mittun der HZDS Meciars wäre vonnöten. Ein solches Szenario ist indessen ebenfalls nicht wahrscheinlich, und zwar aus zwei Gründen. Zum einen sind sich Fico und Meciar spinnefeind. Und zum Zweiten wird wohl der Absturz der von Meciar geführten HZDS nicht ohne innerparteiliche Folgen bleiben. Eine Palastrevolte gegen den alten Patriarchen erscheint nicht ausgeschlossen, und eine vom grossen Rivalen Meciars, Villiam Veteska, geführte Partei würde mit Sicherheit einen pragmatischen, wirtschaftsfreundlichen Kurs einschlagen. Es gibt in der Bewegung für eine Demokratische Slowakei einen fast schon liberalen Flügel, der die Machenschaften Meciars ablehnt und nur auf eine Gelegenheit wartet, den alten Intriganten loszuwerden.
Als naheliegendste Lösung ergibt sich somit eine Koalition aus den drei bisherigen Regierungsparteien und der Bewegung für eine Demokratische Slowakei. Voraussetzung für ein solches Szenario wäre allerdings die Entfernung Meciars. Die Christlichdemokraten haben ein Zusammengehen mit der HZDS kategorisch ausgeschlossen, solange Meciar die Partei anführt. Für hitzige Debatten - ebenso für Dolchstösse, Verschwörungen und stille Absprachen - ist angesichts der zahlreichen Koalitionsvarianten gesorgt, zumal natürlich auch die Wirtschaft nicht zögern wird, ihre Präferenz für Dzurindas Liberale klar zu machen. Für die Bürger der Slowakei, auch für die vielen Armen, wäre es sicher von Vorteil, wenn sich schliesslich eine «Koalition der Vernunft» unter Ausschluss von Smer und der nationalistischen SNS herauskristallisierte. Von einer mutigen, weltoffenen, dynamischen Slowakei würde letztlich aber auch die ganze Europäische Union profitieren.