Neue Zürcher Zeitung, 19. April 2006
Mikulas Dzurinda - der unbeliebte Erneuerer
Höhenflug der antireformerischen Smer-Partei in der Slowakei
Wenige Wochen vor den Parlamentswahlen in der Slowakei findet sich die linkspopulistische Smer-Partei von Robert Fico noch immer an der Spitze der Beliebtheitsskalen. Ministerpräsident Dzurindas Christlichdemokraten sind abgeschlagen. Dennoch hofft der Regierungschef, in einer Koalition Gleichgesinnter weiterregieren zu können.
U. Sd.Prag, 78.April
Nach aussen hin sieht alles sonnenklar aus. Mikulas Dzurinda, der Vorsitzenderer Slowakischen Christlichen und Demokratischen Union
(SDKU), ist einer der erfolgreichsten ostmitteleuropäischen Politiker
der Gegenwart. Seit acht Jahren regierend, hat er aus der kleinen, missachteten, ja geschnittenen Slowakei in unterschiedlichen Koalitionen
ein neokapitalistisches Vorzeigeobjekt par excellence gemacht: einen in
praktisch jeder Hinsicht erfolgreichen Staat. Dank rigorosen Reformen und einer mutigen Flat-Tax-Poltik, die so manche Westeuropäer über die Massen erzürnte, ist die Wirtschaft seit 2002 um17 Prozent gewachsen, ist die Slowakei zu einer der besten Adressen für Investoren geworden, haben sich zahlreiche internationale Grossfirmen im Land niedergelassen und hat sich Bratislava zu einer Perle des Tourismus entwickelt. Selbst die Arbeitslosigkeit, ein notorisches Problem der armen Slowakei ist von fast 20 auf 12 Prozent zurückgegangen.
Bestrafte Erfolge
Für die Slowaken offenbar Grund genug, Dzurinda zu bestrafen. Während die SDKU in Umfragen bei 10 Prozent Zustimmung dümpelt, liegt die Partei Smer (Richtung) des Linkspopulisten Robert Fico seit Monaten weit in Front. Am vergangenen Wochenende etwa gaben
nicht weniger als 32,4 Prozent der Wahlberechtigen an, sie
würden, wenn nicht im Juni, sondern bereits morgen gewählt würde,
der Smer die Stimme geben. Dass Fico versprochen hat, die meisten der von Dzurinda durchgesetzten Reformen rückgängig zu machen, „sozialer" zu sein, die Reichenhöher zu besteuern, die Armen zu entlasten und die Ausländer am Investieren zu hindern, ficht nur
wenige an, im Gegenteil -populistische, auf Sozialneid und fremdenfeindlichen Ressentiments basierende Parolen sind heute in
ganz Ostmitteleuropa ein schlagendes Wahlargument.
Der Neuerungen müde
Warum diese bizarr anmutende Abwendung von einem erfolgreichenliberalen Reformer? Die Bürger seiender unablässigen Neuerungen, die sie zu mehr Konkurrenz und Arbeit zwängen,
ganz einfach müde, lautet eine gängige Antwort. Der Soziologe Grigorij Meseznikov, Vorsitzender des Instituts für Öffentliche Angelegenheiten
in Bratislava, sagt, Dzurinda werde von vielen als trickreich, unethisch, ja hinterhältig und seine Politik als wenig transparent empfunden. Ohne
Zweifel hat der Zwang, eine schwache Minderheitsregierung über
Jahre hinweg durch die Anwerbung Unabhängiger über Wasser zu halten, die Reputation Dzurindas nachhaltig geschädigt.
Zuzanä Martinakova vom Freien Forum, das grossenteils aus Abgeordneten besteht, die die SDKU verlassen haben, wirft Dzurinda etwas gar melodramatisch vor, er habe die slowakische Gesellschaft <okkupiert> wie ein türkischer Sultan. Sicher ist. dass Dzurinda im Ausland und in Geschäftskreisen wesentlich populärer ist als in seiner
Heimat.
Vielfalt von Koalitionsmöglichkeiten
Dzurinda, der drahtige Marathonläufer, geht der Wahl im Juni trotz alledem zuversichtlich entgegen. Bereits im Jahre 2002 hatte er das ermüdete Feld von hinten aufgerollt, und auch diesmal will er mit einem logistischen Grosseinsatz das Blatt in letzter Sekunde wenden. Zugute
kommt ihm dabei die lebendige slowakische Parteienlandschaft.
Mindestens acht Parteien haben gute Chancen die Fünfprozenthürde zu überwinden, und von diesen sind die meisten als potenzielle Koalitionspartner Dzurindas zu betrachten. Ficos Smer ist populär, aber isoliert . Die bisherigen Koalitionspartner Dzurindas, die Christlichdemokraten und die Ungarische Koalitionspartei, dürften beim Regierungschef bleiben – zumindest, wenn dieser ein gutes Resultat erreicht. Die Christlichdemokraten flirten zwar ab und an mit der Bewegung für eine Demokratische Slowakei (HZDS) des einstigen Autokraten Meciar, doch auch diese Partei tendiert seit langem eher zur
Mitte und damit zur SDKU.
Über eine mögliche Koalition mit den Kommunisten redet Fico nur ungern - die Nachfolger der Partei Husaks sind in der Slowakei ebenso geächtet wie in Tschechien. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass sich für Dzurinda in dieser unübersichtlichen Ausgangslage letztlich doch noch Gewinnmöglichkeiten ergeben und er schliesslich eine Regierungskoalition zusammenzimmern kann - wenn auch nicht notgedrungen mit ihm selber als Ministerpräsidenten.
Nationalistische Attacken
Anders als etwa in Ungarn ist eine Vorhersage über die Zusammensetzung des künftigen Parlaments in der Slowakei kaum möglich. Neben den Koalitionsparteien, der HZDS, der Smer und dem Freien Forum hat in den vergangenen Monaten vor allem die 1990 gegründete Slowakische Nationalpartei (SNS) von sich reden gemacht.
Engstirnig und erratisch, zur Not auch populistisch, versteht sich die SNS als latent slawophile Hüterin nationaler Interessen und wendet sich vor allem gegen die Roma und gegen die starke ungarische Minderheit. Einen Nato-Beitritt lehnen die Nationalisten energisch ab.
Der SNS-Vorsitzende, Jan Slota, ist einer breiteren Öffentlichkeit vor allem durch das erheiternde Wort in Erinnerung geblieben, er wolle
sich in einen Panzer setzen und Budapest dem Erdboden gleichmachen, denn es könne nicht sein, dass die Ungarn wieder über die Slowakei herrschten.
Primitive rassistische und nationalistische Attacken dieser Art
scheinen gefruchtet zu haben: Über 8 Prozent der Slowaken würden heute für die Nationalpartei stimmen. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang, dass die Umfragewerte für die SNS jedes Mal dann in die Höhe schnellen, wenn der ungarische Fidesz-Vorsitzende
Orban wieder einmal den Auslandungarn rhetorisch den Rücken stärkt.