tagesanzeiger.ch , 12. Dezember 2013
«Mein Gott, ich bin ja zu Hause!»
Von Simon Graf, René Stauffer
Belinda Bencic, die weltbeste Tennis-Juniorin, spricht über ihren Wechsel auf die Profitour und ihr Globetrotter-Leben.
Belinda Bencic (16)
Persönlich
Belinda Bencic kam am 10. März 1997 in Flawil zur Welt. Vater Ivan war 1968 als Fünfjähriger aus der Slowakei in die Schweiz gekommen und wurde Eishockeyprofi, Mutter Dana spielte früher in der Slowakei Handball. Die Familie wohnte zuerst in Oberuzwil und inzwischen in Wollerau.
Karriere
Bencic trainierte schon als Sechsjährige in der Bollettieri-Akademie und gewann bereits mit neun ein grosses Juniorenturnier in den USA. 2013 avancierte sie mit Siegen in Paris und Wimbledon zur Nummer 1 der Juniorinnen, im WTA-Ranking kletterte sie von 626 auf 183.
2014: Qualifikation in Melbourne,
in Wimbledon im Hauptfeld
In Melbourne darf Belinda Bencic dank ihrem WTA-Ranking (183) ab dem 9. Januar im Qualifikationsturnier des Australian Open antreten, in Wimbledon ist sie sogar im Hauptfeld zugelassen. Eigentlich steht ihr als aktuelle Junioren-Siegerin eine Wildcard für die Qualifikation zu, doch weil sie diese schon nicht mehr benötigt, werde sie ins Hauptturnier eingeladen, haben ihr die Organisatoren des All England Club versprochen.
Nach dem Australian Open, dem WTA-Turnier von Pattaya (Thailand) und eventuell dem Fed-Cup in Paris gegen Frankreich im Februar wird Bencic mehrere Wochen in den USA weilen, wo sie mit ihrer Familie in Boca Raton (Florida) über eine Wohnung verfügt und in der Tennis Academy von Chris Evert und deren Bruder John häufig trainiert.
Auch im Umfeld der Ostschweizerin, die vom Weltverband ITF den Titel als Junioren-Weltmeisterin 2013 erhalten wird, herrscht Bewegung. Mit Rolex schloss sie eben einen hochkarätigen Werbevertrag ab – wobei sie gleich aus drei Angeboten von Uhrenfirmen auslesen konnte. Manager Marcel Niederer hofft, bald weitere grosse Schweizer Firmen als Partner verpflichten zu können. Neu gehören auch die 16-jährige Russin Valentina Kulikowa und deren Trainer zu ihrem erweiterten Trainingsteam.
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Bild: Keystone
Nachdem sie ihre erfolgreichste Saison mit fünf Profiturnieren in Japan beendete und sich unter die Top 200 der WTA-Weltrangliste verbesserte, weilt Belinda Bencic wieder einmal einige Tage in der Schweiz. In Wollerau bereitet sie sich mit Melanie Molitor auf 2014 vor. Beim Interview im Seedamm-Plaza von Pfäffikon wird die 16-jährige Juniorensiegerin von Paris und Wimbledon von Vater und Coach Ivan sowie ihrem Manager und Förderer Marcel Niederer begleitet. Am Sonntag wird die jüngste Spielerin unter den Top 250 der Welt in Zürich an der Vergabe der Sports Awards teilnehmen und hofft, zur Newcomerin des Jahres gewählt zu werden.
Sie wurden 2013 die Weltnummer 1 der Juniorinnen und verbesserten sich in der Weltrangliste massiv. War es ein Traumjahr, oder wäre noch mehr dringelegen?
Es war ein ziemlich gutes Jahr, mein bisher bestes. Ich bin zufrieden, auch wenn immer noch mehr möglich wäre. Ich hoffe nur, dass es so weitergeht.
Übertrafen Sie Ihre Erwartungen?
Ich habe nie Erwartungen, weshalb ich auch keine erfüllen muss. Ich mache mir selten Gedanken über ein ganzes Jahr, sondern konzentriere mich stets auf die nächsten ein, zwei Turniere.
Wie wichtig ist für Sie der Sprung unter die Top 200? Wichtiger als die Erfolge bei den Juniorinnen?
Sicher. Es ist zwar schön, bei den Juniorinnen die Nummer 1 zu sein, aber was zählt, sind die Resultate bei den Profis.
Sie bestritten in den vergangenen zwölf Monaten inklusive Doppel fast 150 Partien, viel mehr als alle Profis. Spüren Sie die Anstrengungen?
Nein. Trainings sind für mich viel strenger als ein Match pro Tag. Ich spielte zwar viele Turniere, schied aber manchmal auch früh aus. Und bei uns Frauen geht es ja nur auf zwei Gewinnsätze.
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Werden Sie künftig weniger spielen, da Sie keine Juniorenturniere mehr bestreiten und durch das Altersregle- ment beschränkt sind?
Das ist nicht so schlimm. Eigentlich dürfte ich zwischen dem 17. und 18. Geburtstag 14 Turniere bestreiten, doch wegen meiner zwei Grand-Slam-Titel und meiner Position als Nummer 1 erhalte ich drei Bonusturniere.
Was stufen Sie als Ihren bislang grössten Erfolg ein?
Schwer zu sagen. Vielleicht die zwei Grand-Slam-Titel und die beiden WTA-Turniere in Japan. In Tokio gewann ich meine erste Partie auf der WTA-Tour, in Osaka qualifizierte ich mich und überstand eine Runde. Beide Male verlor ich erst gegen die spätere Siegerin (Petra Kvitova und Samantha Stosur).
Wie empfanden Sie den Unterschied zwischen dem Junioren-Circuit und der Profitour?
Es ist schon nicht so einfach bei den Profis. Dort gibt es auch ältere Frauen, die viel mehr Erfahrungen haben. Da wird es sofort ausgenutzt, wenn man einen blöden Fehler macht. Bei den Juniorinnen kann man sich diese manchmal noch erlauben. Aber wenn man bei den Profis ein Aufschlaggame verschläft, wird man bestraft. Wie gegen Kvitova: Da machte ich bei 5:5 einen kleinen Fehler, und der Satz war weg. In Osaka war es gegen Stosur genau gleich.
Merken Sie, dass Ihnen noch etwas fehlt im Vergleich zu den Top 100?
Bestimmt, sonst wäre ich selber schon dort. Aber ich bin auf dem Weg dorthin. Technisch muss man nicht viel verändern, taktisch auch nicht, und bei den Aufschlägen habe ich mich dieses Jahr sehr verbessert. Ich denke, dass in allem noch ein wenig fehlt. Vor allem die Konstanz. Ich darf keine Konzentrationslücken mehr haben und muss meine Aufschlagspiele regelmässig gewinnen. Und ich darf nicht mehr so nervös sein.
Haben Ihre Erfolge ein grosses Echo ausgelöst?
Schon. Vor allem die Anfragen der Medien sind gestiegen. Und an Turnieren werde ich häufiger erkannt, gerade in Tokio musste ich immer wieder Autogramme geben und für Fotos posieren.
Wären Sie gerne ein Tennisstar?
Ja, das wäre schon cool.
Viele Profis klagen am Ende der Saison über Müdigkeit. Brauchen Sie nun auch dringend Ferien?
Ich bin so viel gereist, da ist es schön, mal ein wenig zu Hause zu bleiben. Ich hatte nun immer wieder ein paar Tage frei, aber zwischendurch trainierte ich ein bisschen. Für mich wäre es nicht gut, zwei Wochen gar nichts zu machen. Ich bin noch im Wachstum, und da gerät die Koordination schnell durcheinander.
Wachsen Sie immer noch?
Ich bin jetzt grösser als meine Mutter, und die ist 1,74 m. Aber viel will ich nicht mehr wachsen, sonst kann ich keine hohen Schuhe mehr anziehen . . . (lacht)
Sie spielten zuletzt fünf Turniere in Japan. Wie erlebten Sie diese Zeit in einem so fremden Land?
Es war eine eindrückliche, schöne Erfahrung. Niemand sprach Englisch, und trotzdem musste man sich verständigen. Ich habe auch das japanische Essen sehr gerne. Allerdings konnte ich es nach sechs Wochen nicht mehr sehen, wenn es zum Frühstück Reis gab.
Sie sind extrem viel unterwegs. Geniessen Sie das Globetrotter-Leben und die vielen Flüge?
Mir macht das Herumreisen Spass. Speziell Japan und die Grand-Slam-Turniere waren schön. Natürlich würde ich lieber in der Business Class fliegen, aber man gewöhnt sich daran.
Bekommen Sie viel mit von Ihren Destinationen?
Man bewegt sich schon hauptsächlich im Hotel, auf der Anlage und in Flughäfen. Aber dazwischen liegt ein Trip in die Stadt schon einmal drin, und auch eine kleine Shopping-Tour wie in New York.
Wo hat es Ihnen am besten gefallen?
Monte Carlo liebe ich, auch Las Vegas, Miami und New York. London kenne ich noch nicht so gut. Auch Paris ist schön.
Langweilig wird es Ihnen nie?
Nein. Ich lerne verschiedene Städte, Länder und Kulturen kennen, in der Schule ist das nicht möglich. Und im Hotel verbringe ich viel Zeit mit Lesen. Ich liebe Krimis. Ein Mann in Wollerau, mit dem ich früher oft Tennis spielte, besitzt viele Krimis. Seine Tochter bringt mir jeweils drei neue mit, und ich gebe ihr die gelesenen zurück.
Gehören Sie auch zu jenen, die Stunden mit dem Handy verbringen?
Nein, ich habe Handyverbot . . . (lacht) Aber ja, ich brauche es schon oft, um im Internet zu surfen, Musik zu hören oder über Whatsapp den Kontakt mit meinen Freundinnen zu pflegen. Twitter und Facebook benutze ich nicht.
Wie sieht Ihr Freundeskreis aus?
Ich habe viele gute Kolleginnen bei den Juniorinnen; man trifft sich an Turnieren und schreibt sich gegenseitig, wo man so ist und was man macht. Meine beste Kollegin ist Kathinka von Deichmann (die WTA-Nummer 440 aus Liechtenstein).
Haben Sie auch noch Kolleginnen, die nicht Tennis spielen?
Ja, Mädchen, die ich von der Schule oder anderswo kenne. Die treffe ich jeweils, wenn ich hier bin. Auch mit der Tochter von Marcel (ihrem Manager) habe ich viel Kontakt. Sie ist Eiskunstläuferin.
Geniessen Sie es, zwischendurch im eigenen Bett zu schlafen?
Ja, speziell nach sechs Wochen in Japan. Da wachte ich auf und dachte zuerst, ich sei immer noch dort. Dann merkte ich: Mein Gott, ich bin ja zu Hause!
Wie ist es, wochenlang stets mit dem Vater unterwegs zu sein? Gibt es da auch Reibereien?
Wir sind ziemlich gut eingespielt und nicht immer alleine unterwegs, sondern oft im Team. In Japan waren auch der Physiotherapeut (Martin Nozdrovicky) und der Sparringpartner (Robin Bulant) dabei. Zu zweit wäre es schwieriger.
Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihrem 13-jährigen Bruder Brian, der die Sportschule Kreuzlingen besucht?
Ich trainiere oft mit ihm, das geht gut. Er schlägt gut auf, in den Tiebreaks wird es manchmal schon sehr eng.
Fällt es Ihnen nie schwer, sich für das Training zu motivieren?
Manchmal schon. Aber ich weiss, dass es das braucht. Ich würde schon lieber immer Turniere spielen, aber das geht leider nicht.
Waren Sie schon in der Schule so diszipliniert?
Ich denke schon. Aber das können andere wohl besser beurteilen.
Nach Weihnachten reisen Sie nach Australien an. Freuen Sie sich?
Sehr. Ich war noch nie in Australien, und jeder sagt, Melbourne sei super, mega. Für einige ist es das schönste Grand-Slam-Turnier.
Sie werden am 5. Januar mit Martina Hingis einen Schaukampf in Hobart auf Tasmanien bestreiten. Könnte es sein, dass Sie mit ihr bald Doppel auf der WTA-Tour spielen?
Das ist bisher alles nur Spekulation. Es ist zwar denkbar, aber bisher kein ernsthaftes Thema.
Wovon träumen Sie, wenn Sie sich 2014 ausmalen?
Ich konzentriere mich vorerst ganz auf Australien und dann auf das Turnier in Pattaya. Weiter schaue ich nicht, auch nicht unbewusst. Zuerst will ich einfach an diesen beiden Anlässen gut spielen.
Stellen Sie sich nicht vor, wie es wäre, einmal Wimbledon bei den Grossen zu gewinnen?
(lacht) Das ist eine schwierige Frage. Als Kind stellte ich mir das schon vor, aber das war mehr so ein Traum.
(Tages-Anzeiger)